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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Fundament, und der einzelne kann sich der allgemeinen Sitte gegenüber, oder vielmehr ihr entgegen, zu einem Ausnahmefall berechtigt fühlen. Daß er nun sein natürliches Recht, nachdem er es vergebens mit der Sitte in Einklang zu bringen versucht hat, kühn gegen all das Verderben eintauscht, was der Brauch und das Allgemeingültige über ihn bringen muß, das ist
das,
was ich als den poetischen Schwerpunkt empfunden habe. Gleichwohl habe ich für Sie einen neuen Schluß zurechtgemacht, der freilich christlich ebensowenig passieren darf wie der andere. Hier ist er ...«
    Storm ließ diesen neuen Schluß nun folgen, und in dieser etwas veränderten Gestalt ist die Ballada incestuosa auch in seine Gedichte übergegangen. Es ist aber, trotz all dieser Mühen, eine vergleichsweise schwache Leistung geblieben, wie sich jeder, der die Gedichte zur Hand hat, leicht überzeugen kann.
    Storm blieb Mitglied. Aber er kam nicht mehr oder sehr selten. Er mußte sich gesellschaftlich von vornherein geborgen fühlen, sonst schwenkte er ab.
    Seine Tunnel-Schicksale hatten sich nicht sehr günstig gestaltet, freilich auch nicht schlimm. Schlimmer war es, daß es auch mit
Kugler
zu einer Verstimmung kam. Ohne rechte Schuld auf der einen und der anderen Seite. Wir saßen eines Tages zu vier oder fünf in einem Tiergartenlokal, in einem von Pfeifenkraut und Jelängerjelieber umrankten Pavillon, und da sich's fügte, daß kurz vorher ein neues Buch von Geibel erschienen war, so nahm Storm Veranlassung, über seinen Konkurrenten Geibel sein Herz auszuschütten. »Ja, Geibel. Das ist alles ganz gut. Aber was haben wir schließlich? Wohlklang, Geschmack, gefällige Reime – von eigentlicher Lyrik aber kann kaum die Rede sein und von Liebeslyrik nun schon ganz gewiß nicht. Liebeslyrik, da muß alles latente Leidenschaft sein, alles nur angedeutet und doch machtvoll, alles in einem Dunkel, und mit einemmal ein uns blendender Blitz, der uns, je nachdem, erschreckt oder entzückt.« Kugler wurde unruhig. Zum Unglück fuhr Storm fort: »In zwei Strophen von mir ...« und nun wollte er an einem seiner eigenen Gedichte zeigen, wie echte Liebeslyrik beschaffen sein müsse. Aber er kam nicht dazu. »Nein, lieber Storm,« unterbrach Kugler, »nicht so. Geibel ist unser aller Freund, und wie ich bisher annahm, auch der Ihrige, und einen anderen tadeln, bloß weil er's anders macht als man selber, das geht nicht.« Wir kamen sämtlich in eine große Verlegenheit. Natürlich, soviel mußte man Kugler zugestehen, hatte Storm, wenn auch nicht direkt, so doch unmißverständlich ausgesprochen: »
Meine
Gedichte sind besser als Geibels.« Aber wenn dergleichen artig gesagt wird, so darf man um solches Ausspruches willen nicht reprimandiert werden, auch dann nicht, wenn man unrecht hat. Hier aber darf doch wohl gesagt werden,
Storm hatte recht.
Geibel war ein entzückender Mensch und dazu ein liebenswürdiger, ebenso dem Ohr wie den Anschauungen einer Publikumsmajorität sich einschmeichelnder Dichter. Aber als Liebeslieddichter steht Storm hoch über ihm.
    Der ganze Zwischenfall, von dem ich damals einen starken Eindruck empfing, ist mir nie wieder aus dem Gedächtnis geschwunden und hat mich jederzeit zu vorsichtiger Haltung gemahnt. Aber freilich, dieser Mahnung immer zu gehorchen, ist nicht leicht. Oft liegt es so, daß man ein Lob, das gespendet wird, zwar nicht teilt, aber doch begreift. In solchem Falle zu schweigen, ist kein Kunststück. Aber überall da, wo man nicht bloß seine dichterische Überlegenheit über einen Mitbewerber, sondern viel, viel mehr noch seine
kritische
Überlegenheit über die mit Kennermiene sich gerierenden Urteilsabgeber fühlt – in solchen Momenten immer zurückzuhalten, ist mir oft recht schwer geworden. Wenn ich dann aber Storm und Kugler und die Jelängerjelieber-Laube vor mir aufsteigen sah, gelang es mir doch so leidlich.
     
    Der über Geibels Wertschätzung als Liebeslieddichter entstandene Streit war für alle Teile sehr peinlich, es kam aber schließlich zum Friedensschluß, und man war allerseits bemüht, die Sache vergessen zu machen. Was denn auch glückte. Storm sah sich nicht bloß in das Kuglersche Haus eingeführt, sondern ebendaselbst auch mit Auszeichnungen überhäuft, und die damals miterlebten »Storm-Abende« zählen zu meinen liebsten Erinnerungen. Es mag übrigens schon hier erwähnt sein, daß Storm, nach Art so vieler lyrischer Dichter – und nun gar erst lyrischer Dichter aus kleinen

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