Voodoo Holmes: Botschafter der Nacht
erkennen, in schöne Bilder malen. Sie machen sich schick und schmeicheln mir dabei, denn so wie Sie jetzt aussehen, verkörpern Sie die Erfüllung meiner süßesten Träume, mein Lieber. Aber das Leben ist nicht dazu da, sich Trugbildern hinzugeben.“
„ Was anderes ist das Leben als ein Trugbild?“
„ Das mag sein. Aber es ist doch wahr. Während das, was Sie hier tun, eine geschminkte Lüge ist.“
Morpheus erhob sich, leicht, wie schwerelos. Jetzt erst konnte man sehen, dass aus seinem Rücken riesige Schwingen sprossten, die sich nun, da er stand, entfalteten. „Es mag sein, dass ich eine Lüge lebe“, sagte er, und Holmes merkte, dass er eine Handbreit über dem Boden schwebte, „aber immerhin kann ich fliegen. Und ist das Fliegen nicht immer schon Ihr Traum gewesen?“
„ Woher wissen Sie das?“ fragte Voodoo.
„ Was denken Sie? Ich kenne Ihre Träume.“
In diesem Augenblick spürte Voodoo, der sich ebenfalls erhoben hatte, dass ihm Flügel aus den Schulterblättern sprossten. Sie zerrissen den Stoff seiner Kleider dabei, als wären sie aus einem schweren, belastbaren Material, und waren zugleich schwerelos. Die Empfindung aber, dass sie aus seinem Körper hervorwuchsen, war süß und versetzte seinen Körper in eine große Aufregung bis in die Fingerspitzen. Ohne dass er bewusst zu fliegen versuchte, merkte Voodoo schon, dass er ebenfalls schwebte und dass damit auch alle Schwere, an der er ein Leben lang gelitten hatte, von ihm abfiel.
„ Ich glaube, Sie ahnen, wie es wäre“, sagte Morpheus, und stieg dann mit einem kleinen Flügelschlag in die Höhe, löste sich einige Meter von der Terrasse, und der Impuls, ihm auf dem Weg in den Himmel nachzufolgen, war groß. Doch es war etwas in Voodoo, das sich dieser Empfindung entgegen stemmte, etwas Dunkles, das von Anfang an zu ihm gehört hatte, und unter dem seine Flügel schrumpften wie unter einer großen Hitze, und schlaff wurden. Er spürte das Gewicht seines Körpers wieder, und seine Fußgelenke knackten, als sie wieder belastet wurden. Sogleich folgte ihm Morpheus nach, mit einem bestürzten Gesichtsausdruck, schlug seine Hände vor das Gesicht, fiel vor ihm auf den Boden der Terrasse und krümmte sich zusammen. Voodoo spürte erst jetzt, dass es ein Kräftemessen war, und dass er sich der Leichtigkeit des Traums widersetzt hatte, als er zu fliegen begann, aus einem noch ungekannten Impuls heraus. Und er konnte diese Schwere, die er ausstrahlte und unter dem seine eigenen Flügel wie in einer Feuersbrunst verpufften, auch auf die nackte Frauengestalt richten, die vor ihm kauerte und der davon die Flügel schrumpften und verschwanden und einem schmalen Rücken Platz machten, aus dem die Schulterblätter hervorstachen. Er merkte, dass sie weinte wie eine gewöhnliche Frau, und eine Traurigkeit stieg in ihm auf, als er sie so sah. Sie fror wie eine irdische Frau, ihr Körper glänzte vor Schweiß. Voodoo nahm eine Decke von einer der Liegen und hüllte den Körper ein in einer tröstenden Geste, und sie richtete sich darunter auf, blicklos, und drehte sich um und verschwand, löste sich in Luft auf. Es war da noch eine unsichtbare Anwesenheit auf der Terrasse. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich das Herzklopfen gelegt hatte, das er verspürte. Irgendwann einmal musste er eingeschlafen sein, denn er erwachte von der Helligkeit des Tages. Der Sternenhimmel war verblasst, und Voodoo musste daran denken, wie schwer er geschlafen hatte und dass er dabei nichts geträumt hatte. Unten auf der Baker Street rollten schon die ersten Kutschen vorbei, und man hörte auch die Schritte der Eiligen, die ihren Tagesgeschäften nachgingen. Es war ein sehr schöner Morgen im August, der schon die Kälte des Herbstes in sich barg, wolkenlos und mit Spinnennetzen überall, in denen Wasserperlen das Sonnenlicht in allen Farben brachen.
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