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Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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glaubte, jemand stünde hinter ihr, doch da war niemand. Keiner der zahlreichen Passanten nahm von ihr Notiz, obwohl sie wie angenagelt auf dem Gehweg stand und auf den Eingang des Britannia starrte.
    Ihr Vater saß in der Kneipe. Zusammen mit dem finster dreinschauenden Michael, dem neuen und alles andere als sympathisch wirkenden Freund von Heather. Sie saßen an einem Tisch unweit des Tresens, steckten die Köpfe zusammen, rauchten Pfeife und bestellten eine Runde nach der anderen. Celia hatte sich hinter einem auf dem Gehsteig abgestellten Fuhrwerk versteckt, sodass sie die Männer aus der Deckung beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Weil der Tresenraum überdies hell beleuchtet war, während der Gehweg im Nebel lag, stand nicht zu befürchten, dass ihr Vater auf sie aufmerksam würde.
    Sie hatte ihn tatsächlich gefunden! Endlich! Doch nun, da sie ihr Ziel erreicht hatte, wusste sie nicht, was sie tun und wie sie ihrem Vater begegnen sollte. Einfach in die Kneipe zu gehen, sich vor ihm aufzubauen und zu sagen: »Hallo, Vater, ich bin Celia!«, das erschien ihr absurd und unmöglich. Nicht zuletzt, weil dieser Michael dabei war, der sie einschüchterte, obwohl sie ihn überhaupt nicht kannte. Nein, lieber wollte sie abwarten und beobachten. Solange ihr Vater im Britannia saß und sie an Ort und Stelle blieb, konnte er ihr nicht entwischen. Wenn er dann den Pub verließe, könnte sie ihm nach Hause folgen und ihn ansprechen, sobald er allein wäre. Auch wenn ihr davor bang war, weil sie keine Ahnung hatte, was sie sagen sollte und wie er wohl darauf reagieren würde. Die Worte des Wirts in Southampton fielen ihr wieder ein: »Weil er nämlich nicht gefunden werden will!« Und seine Frau hatte hinzugesetzt: »Antworten gibt’s nicht umsonst.«
    Und doch war Celia froh, dass sie hergekommen war. Sich hergetraut hatte. Mehrere Stunden hatte sie sich schon in der Gegend herumgetrieben, war immer wieder in die Dorset Street und zum Britannia Pub oder Ten Bells gegangen und hatte die Augen und Ohren offen gehalten. Im Ten Bells hatte Heather vor einigen Tagen Michael kennengelernt, in der Dorset Street wohnten die beiden, und vor dem Britannia hatte Celia, kurz vor ihrem Zusammenbruch, ihren Vater entdeckt. »Ein Nachbar«, wie Heather gesagt hatte. »Ein komischer Kauz!« Also war Celia den halben Tag lang stoisch von Ort zu Ort gegangen, rings um die Christ Church, immer darauf hoffend, irgendwo auf ihren Vater zu treffen. »Nicht ganz dicht in der Birne!« Auch das waren Heathers Worte gewesen.
    Seitdem Celia ihrem Vater am Montag begegnet war, hatte sie an nichts anderes mehr denken können. Selbst in ihren wirren Fieberträumen war er ihr erschienen, zusammen mit den beiden anderen Männern, denen sie in den letzten Tagen so unerklärlich oft über den Weg gelaufen war. Als sie am Donnerstagmorgen endlich wieder halbwegs erholt und fieberfrei gewesen war, hatte ihr Beschluss festgestanden: Sobald Maureen am Abend die Wohnung verlassen würde, um im People’s Palace aufzutreten, wollte Celia nach Spitalfields gehen und Ausschau halten. Wie die Polizisten auf Streife, von denen es in der Gegend nur so wimmelte, seitdem der Ripper im East End sein Unwesen trieb.
    Beinahe wäre es jedoch gar nicht dazu gekommen, denn Maureen wollte sie zunächst nicht allein lassen. Celia sei noch nicht gesund und könne jederzeit einen Rückfall erleiden. Und da Rupert Ingram nicht da sei, um in der Zwischenzeit auf sie aufzupassen, werde Maureen ihren Auftritt absagen und bei Celia bleiben. Sie könne ihr auch etwas vorlesen, wenn ihr denn der Sinn nach Büchern stehe.
    »Lesen schadet«, antwortete Celia grinsend und beschwor Maureen, doch bitte keine unnötige Rücksicht auf sie zu nehmen. Sie sei wieder gesund und bei Kräften, ihre Hand tue gar nicht mehr weh, auch das Fieber sei verschwunden. Und vor allem solle Maureen nicht ihretwegen auf ihre Gage verzichten. Celia wusste, dass Maureen pro Auftritt bezahlt wurde und ihr Honorar nur erhielt, wenn sie abends auf der Bühne stand. Celia meinte, es sei doch unsinnig, ihr beim Schlafen zuzusehen, wenn Maureen zur selben Zeit gutes Geld verdienen könne. Sie sei so müde, dass sie ohnehin früh zu Bett gehe. Und falls sie doch etwas benötige, könne sie ja Mrs. Adams im Dosshouse fragen. Deren Fett- und Zwiebelgestank werde sie schon überleben, wie Celia lachend hinzufügte.
    Schließlich gab sich Maureen geschlagen, packte ihre Kostümtasche und verließ nach dem

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