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Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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Ironie. »Immer schickt er seinen Burschen, statt selbst zu uns zu kommen. Und er fasst dich nie ohne Handschuhe an. Weil er dich sonst nicht mehr loslassen würde.«
    Celia war Maureens Logik ein wenig zu hoch, aber sie hatte keine Lust, mit ihr über Rupert zu streiten. Celia war einfach gern mit ihm zusammen, obwohl sie so wenig gemein hatten und oft unterschiedlicher Meinung waren. Es war nicht zu verkennen, dass sie aus unterschiedlichen Welten stammten und sich ihr bisheriger Erfahrungsschatz in beinahe keinem Punkt überschnitt. Manchmal kam Celia sich in seiner Gegenwart so naiv und ungebildet vor, dass sie sich regelrecht schämte. Dann gab sie ihm umso heftiger und schnippischer Widerworte. Celias Vorwitz, hätte das ihre Mutter genannt. Dennoch hörte sie ihm interessiert zu, wenn er von seiner neuen Arbeit sprach, sich über den drolligen Gray amüsierte oder Vorträge über Kunst und Literatur hielt. Und sie war ihm dankbar, dass er sich an ihre Abmachung hielt und niemals etwas von sich gab, was sie nicht hören oder wissen wollte.
    »In Ordnung«, hatte er in jener Nacht in Vaters Kammer zu ihr gesagt. Und das war es auch.
    Nur ein einziges Mal verstieß er gegen diese Vereinbarung. Es war Anfang Dezember, und Rupert wartete nach der Aufführung wie üblich neben der Bühne auf Maureen und Celia. Als sie schließlich erschienen, machte er den Vorschlag, nicht an der Bar im Bühnenraum etwas zu trinken, sondern im Hatchett’s Hotel in Mayfair. Dort finde eine Adventsfeier statt, zu der er als Sohn des Hausherrn eingeladen sei, und er würde die Damen gern dorthin mitnehmen.
    Maureen war auf Anhieb begeistert, machte sich lediglich Sorgen wegen ihrer unpassenden Garderobe und wollte sich gleich bei Rupert einhaken.
    Doch Celia schüttelte energisch den Kopf und fragte: »Warum?«
    »Warum nicht?«, konterte Maureen. »Ich leih dir eins von meinen Kleidern, wenn’s das ist. Wir werden schon was Passendes finden.«
    »Es ist nur eine Adventsfeier«, sagte Rupert und starrte zu Boden, als könnte er Celias Blick nicht ertragen. »Keine große Sache.«
    »Es ist nicht nur eine Adventsfeier«, antwortete Celia. »Und das weißt du.«
    »Komm schon, Celia«, murrte Maureen. »Sei keine Spielverderberin.«
    »Das ist kein Spiel«, beharrte Celia und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Er möchte dich gern kennenlernen«, sagte Rupert. »Das ist alles.«
    »Wer?«, fragte Maureen.
    »Du musst kein Wort mit ihm reden, wenn du das nicht willst«, sagte Rupert und hob beschwichtigend die Hände. »Er wird nur kurz Hallo sagen und dann wieder gehen. Das verspreche ich.«
    Maureen verstand nur Bahnhof und zog die Nase kraus.
    Celia schüttelte erneut den Kopf und sagte: »Noch nicht.«
    »Später einmal?«, fragte Rupert.
    »Warum ist das plötzlich so wichtig für dich?«
    »Ist es ja gar nicht.«
    »Anscheinend doch!«
    »Jetzt sei nicht so, Celia!«
    »Ich bin, wie ich bin!«, rief Celia so laut, dass sich die Leute zu ihnen umschauten. »Gewöhn dich besser dran!«
    Beide verstummten, und Maureen blickte ratlos in die Runde.
    Celia taten ihre barschen Worte leid, doch sie konnte und wollte sie nicht zurücknehmen. Sie konnte es nun mal nicht ändern. Sie war, wie sie war.
    Doch dann lachte Rupert plötzlich, als wäre ihm etwas fürchterlich Komisches eingefallen, und er fragte: »Was ist eigentlich so schlimm daran, sich hin und wieder zu streiten.«
    Celia verstand nicht und fragte: »Was meinst du damit?«
    »Nichts«, sagte Rupert schmunzelnd und führte die beiden zur Bar. »Ich habe nur laut gedacht.«

ANHANG
    Anmerkungen und Übersetzungen
    London and South Western Railway : engl. Eisenbahn-Unternehmen (L&SWR), das von 1838 bis 1922 bestand und deren Strecken von London aus nach Südwesten führten
    Waterloo Station : der 1848 eröffnete Bahnhof der L&SWR wurde immer wieder erweitert und ausgebaut, sodass er völlig unübersichtlich wurde und zu Beginn des 20. Jh. abgerissen und neu gebaut werden musste
    Hansom Cab : nach dem Erfinder Joseph A. Hansom (* 1803, † 1882) benannte zweisitzige, nach vorne offene Kutsche, bei der der Kutscher hinter dem Verdeck saß
    Bowler : 1850 von Thomas Bowler & Sons entworfener Herrenhut aus Filz mit rundem Kopf, in Deutschland Melone genannt
    Half Crown : brit. Münze im Wert von 2½ Shilling oder 30 Pence
    London E : seit 1866 gültiger Postcode für Ost-London, die heutigen Zahlen (E1 bis E18) wurden erst 1917 hinzugefügt
    Potts’ Vinegar Works :

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