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Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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findet. Und die sogar unergründlicher werden, je eingehender man sich mit ihnen befasst.
    Bis heute zählt Elizabeth Stride, genannt Long Liz, zu den sogenannten Kanonischen Fünf, also jenen fünf Frauen, die mit höchster Wahrscheinlichkeit im Herbst 1888 von Jack the Ripper getötet wurden. Zwar gab es immer wieder Stimmen, die darauf hinwiesen, dass die Tat nicht ins übliche Muster des Frauenmörders passte, und einige Autoren und Kriminalhistoriker mutmaßten sogar, Elizabeths Freund Michael könne seine Hände bei dem Mord im Spiel gehabt haben. Beflügelt wurde diese Deutung durch die Tatsache, dass die Adresse in der Dorset Street, die Michael Kidney vor dem Coroner zu Protokoll gegeben hatte, offenbar nicht stimmte und er stattdessen zusammen mit einer jungen Russin namens Annie in der Devonshire Street in Mile End lebte. Auch dass der Mann anschließend wie vom Erdboden verschluckt war und nie wieder in Erscheinung trat, gilt manchen »Ripperologen« als bedeutsamer Hinweis. Dennoch wird der Mord in der Berner Street von den meisten Experten weiterhin Jack the Ripper zugeordnet.
    Einen Edmund oder Ned Brooks sucht man in den einschlägigen Quellen und zahlreichen Büchern übrigens vergeblich.
    Die Dorset Street blieb ihrem Ruf als Elendsviertel und Gefahrenpflaster treu, der schlechte Leumund wurde durch den bestialischen Mord im Miller’s Court nur noch bestärkt. Im Jahr 1904 wurde die »schlimmste Straße Londons«, wie sie mitunter in zeitgenössischen Berichten hieß, in Duval Street umbenannt, was aber den Slum-Charakter der Gasse keineswegs abmilderte.
    In den 1920er-Jahren wurde schließlich von der Londoner Verwaltungsbehörde beschlossen, den nahe gelegenen Spitalfields Market nach Süden hin zu erweitern und die gesamte Nordbebauung der Duval Street abzureißen, um Platz für eine neue Markthalle zu schaffen. Auch das Eckhaus, in dem sich der Britannia Pub befunden hatte, wurde im Laufe dieser Maßnahmen dem Erdboden gleichgemacht.
    Während der Abrissarbeiten entdeckten Bauarbeiter im südöstlichen Teil des Areals, etwa fünf Fuß unter der Erde, ein menschliches Gerippe. Die Knochen gehörten offenbar zu einem mittelgroßen Mann und waren vollständig skelettiert, allerdings schienen sie nicht so alt zu sein, dass sie als historisch bedeutsam eingeschätzt wurden. Woran der Mann gestorben war, wieso man ihn an dieser Stelle begraben hatte und ob er womöglich einem Verbrechen zum Opfer gefallen war, konnte nicht geklärt werden. Die Knochen wiesen keinerlei Verletzungen auf und konnten keinem Vermisstenfall der letzten Jahrzehnte zugeordnet werden.
    Einige der Bauarbeiter ulkten, sie hätten vermutlich die Gebeine von Jack the Ripper ausgegraben. Immerhin hätte der sein letztes Opfer ganz in der Nähe umgebracht und wäre anschließend nicht länger mordend durchs East End gezogen.
    Das Skelett des unbekannten Toten wurde nach der polizeiärztlichen Untersuchung in einem anonymen Gemeindegrab auf dem Friedhof von St. Mary Matfelon in der Whitechapel Road beerdigt.
    Während Rupert einen Zufluchtsort namens The Refuge hatte, in den er sich zurückziehen konnte, wurde für Celia der People’s Palace zu einer Art Asyl. Hier ging alles seinen geregelten, auf Programmzetteln nachlesbaren Gang, hübsch getrennt nach sozialer Herkunft. Die Reichen versammelten sich in der zentralen Halle der Königin, die Armen in den Nebenräumen, die Schüler in separaten Gängen, aber alle trafen sich unter einem Dach. Es war eine kleine Welt für sich.
    Nur Rupert vermochte es, Celia hin und wieder aus dieser selbst gewählten Abgeschiedenheit zu entführen und sie daran zu erinnern, dass es auch ein Leben außerhalb des Volkspalastes gab und dass dieses Leben nicht zwangsläufig von schlimmen und hässlichen Dingen bestimmt sein musste. Beinahe jeden dritten Abend erschien er im People’s Palace, verfolgte Maureens gelenkigen und von Mal zu Mal geschmeidigeren Auftritt auf der Großen Bühne, lud die beiden Frauen anschließend zu einem Cocktail an der Bar ein und begleitete sie später bis zu ihrer Wohnung, die er niemals betrat, obwohl Maureen ihn oft dazu einlud.
    »Der ist in dich verknallt«, vermutete Maureen und grinste anzüglich.
    »Unsinn!«, erwiderte Celia erschrocken und hielt Maureens lederne Kostümtasche wie einen Panzer vor sich. »Wie kommst du denn darauf?«
    »Weil er sich so benimmt, als wäre das Gegenteil der Fall«, dozierte Maureen mit einer Mischung aus Lebensweisheit und

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