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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Saša Stanišic
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Geldabrieb.
    Herr Schramm wirft die Münze oben ein, die Münze kommt unten raus.
    Der Automat, beige, mit großen, schwarzen Knöpfen, steht vor der Pension Alpschnitter . In dem Gebäude war früher die Molkerei. Wurde Anfang der Neunziger auktioniert. Herr Schramm hatte überlegt, mitzubieten. Aber Fremdenverkehr? Das wäre nichts für ihn gewesen. Gastfreundschaft hätte er mal besser, mal schlechter gekonnt, je nach Gast. Selbstgemachte Marmelade zum Frühstück eher schlechter. Die Alpschnitters sind von hier. Fleißige Leute. Rudi raucht. Herr Schramm könnte klingeln. Die Lichter überall aus.
    Herr Schramm wirft die Münze oben ein, die Münze kommt unten raus. Herr Schramm wischt sich über die Stirn. Er schwitzt. Ihm ist heiß im Wind.
    Leipzig, ’82. Feierabend nach Offizierslehrgang in der Sauna. Birnenschnaps-Aufguss. Ein Dutzend Offiziere auf den Saunastufen wie Birnen in der Auslage. Und keiner sagt ein Wort. Man hätte sich ja über Unverfängliches unterhalten können. Jemand hätte sagen können: »Wie lange muss man denn hier hocken, um so richtig besoffen zu sein?«
    Herr Schramm kramt das Kleingeld aus seiner Jackentasche. Mit dem Zeigefinger schiebt er die Münzen auf der Handfläche hin und her. Die Geste macht ihn traurig. Er versucht es mit einem anderen 1-Euro-Stück. Kommt wieder raus.
    Herr Schramm lehnt mit der Stirn am Automaten.
    Der größte Mann in der Sauna war General Trunov. Der Einzige, der aufrecht saß,alles zeigte,sein usbekisches Glied von mächtigem Haar umkränzt. Er war nackt bis auf den Waffengurt, in dem ein Reitersäbel steckte. Die Klinge berührte seinen Oberschenkel. Vielleicht kühl, vielleicht heiß. Striemen aus Kondenswasser. Sein Adjutant, ein blasser Jude, goss unaufhörlich Eiswasser und Schnaps auf die heißen Steineund prügelte die heiße Luft mit einem Handtuch durch den Raum.
    Herr Schramm tritt gegen den Zigarettenautomaten.
    »Mensch«, sagt Herr Schramm.
    General Trunov wollte Krieg. Weil der Krieg Schlachten brauchte. Weil Schlachten Soldaten brauchten, weil Soldaten Männer brauchten wie ihn, damit er sie zu Siegen in den Schlachten führt. Trunov war ein gläubiger Mann und machte daraus keinen Hehl. Und wie jeder gläubige Mann wusste er, was ihm gehörte und was ihm nicht gehörte, aber zustand. Das eine wollte er verteidigen, das andere haben.
    General Trunov wollte Krieg, war aber Pazifist, gemessen an den Moden und Methoden jener Zeit. Er verabscheute Nuklearwaffen und chemische Kriegsführung, nicht mal Artillerie war ihm geheuer, Diplomatie aber auch nicht. Mann gegen Mann auf offenem Feld, das wollte Trunov. U-Boote versenken mit eigenen Händen. Oberstleutnant Schramm war sich sicher, es wäre ihm auch gelungen.
    HerrSchramm wirft die Münze oben ein, die Münze kommt unten wieder raus.
    In der Sauna hatte er neben Trunov gesessen. Drehte er den Kopf, konnte er Trunovs Schulter riechen. General Trunovs Schulter roch nach der erfolgreichen Verteidigung eines Brückenkopfs gegen einen dreimal stärkeren Gegner. Schramm roch Steppengras und Pferdeflanken, roch Afghanistan, roch Tänze mit usbekischen Dorfschönheiten.
    Herr Schramm wirft die Münze oben ein, die Münze kommt unten wieder raus. Herr Schramm holt die Pistole aus dem Wagen.
    Nach zehn Minuten stand HauptmannKarrenbauer auf und tappte schweißtriefend zum Ausgang. Karrenbauer, der feisteste im Raum. Dafür dunkle Locken. Die Haut und die Fingernägel so gepflegt, dass es dich wütend machte. Karrenbauers Atemzüge immer mit Pfeifton. Trunov sprang auf, schon hatte er sich zwischen Ausgang und Hauptmann postiert, die Hand am Säbelknauf. Der Jude tunkte das Handtuch in den Aufguss und begann, den General mit wuchtigen Hieben zu bearbeiten.
    »Wochin, ßoldat?«, rief Trunov. Er sah Karrenbauer nicht an. Er sah über Karrenbauers massigen Kopf hinweg, durch die Saunawand, das Abhörzimmerchen, die Albertina und weiter, weit über Leipzig hinaus, durch Berge, über Ebenen, und da er unterwegs keinen Feind fand, den er mit seinem Blick erstechen konnte, sah er sich schließlich selbst in der bitteren Heimat entlang der Baumwollfelder reiten, durchs Tal des Flusses Surxondaryo, auf seinem Hengst namens All Meine Gebete .
    Er wolle raus, gab Karrenbauer nervös zurück.
    »ßag mir ßoldat, warrum ichh dihh soll rraus errlaube.«
    Karrenbauer stammelte. »I-ich kann nicht mehr. M-mein Herz. Ich sollte gar nicht …«
    »Cherrz? Ichh dichh nihht frragen uber Anatomie. Auch ihh dihh

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