Vor dem Fest
Johann sahen Suzi zu und gaben ihm Tipps, er fing nämlich nichts. Versuch’s mal unter der Esche, den Fischen ist es zu heiß, so was. Suzi nahm die Angel zwischen die Beine und gebärdete. Lada versteht Suzis Sprache ziemlich gut. Eigentlich versteht er sie ziemlich schlecht, aber er kennt den stummen Suzi halt seit immer. »Uns gehört die Zeit«, hat er für Johann übersetzt. Der sah ihn fragend an. Lada zuckte mit den Schultern, spuckte in den See. Auf dem Uferweg kam Anna mit dem Fahrrad. Trägerkleidchen, so was. Johann winkte spontan, ein Junge halt. Anna sah geradeaus.
»Wie winkst du denn?« Lada boxte Johann gegen die Schulter. Über dem See tuckerte ein Ausflugsboot. Lada pfiff schrill. In die Touristenhüte kam Bewegung. Lada winkte, die Touristen winkten zurück. Die Touristen machten Fotos. Dann zeigte Lada den Touristen den Mittelfinger.
»Das zählt nicht, das sind Touristen, die winken, komme, was wolle«, sagte Johann.
Lada boxte ihn wieder. Auf Ladas Schulter fletscht ein Wolf die Zähne. Auf Ladas Rücken steht: The Legend .
»Was guckst du?«
»Ich lass mich auch tätowieren.«
»Hörst du das, Suzi? Der Scheißer will sich tätowieren lassen. Geil.«
Eines hat Johann im Umgang mit Lada gelernt: Nicht die Nerven verlieren. Dranbleiben. Sich provozieren lassen: Schwäche. »Bedeutet der was?«, fragte er. Auch Suzi hat einen Wolf an der Wade.
Lada sah ihm in die Augen. Spuckte seitlich aus. »Die Wölfe kommen zurück.« Er sprach sehr langsam. »Deutschland wieder Wolfsland. Aus Polen und Russland, Tausende Kilometer machen die. Herrliche Tiere. Jäger. Sag mal Rudel!«
»Rudel.«
»Hammer, oder? So eine Power in dem einen Wort! Der Suzi und ich, wir sind Befürworter von dem Wolf.« Lada packte Johann im Nacken. »Das bleibt unter uns, verstanden? Wir haben Wölfe hergeholt. Aus der Lausitz. Weil, früher hat’s hier auch Wölfe gegeben. Frag deine Mutter. In der Zerveliner Heide, beim Raketenstützpunkt? Da haben wir sie frei gelassen.«
Cool bleiben. Weiter fragen. Manchmal labert Lada so was, um Johann zu erschrecken. Suzi hat sich umgedreht, lauschte aufmerksam. Johann räusperte sich.
»Wie viele denn?«
»Witzig. Ich dachte, du fragst bestimmt, wie. Vier. Zwei Jungwölfe, zwei Erwachsene. Hör zu, Alter: Das ist kein Scheiß. Du hältst die Fresse, haben wir uns verstanden?«
»Ist klar.«
»Gut.«
Suzi hatte einen am Haken. Kurze Gegenwehr. Ein kleiner Karpfen. Suzi setzte ihn wieder zurück.
Lada erhob sich. »Männer, auf geht’s, zum Ulli. Suzi gibt einen aus.« Und so kam es auch, weil Lada ist jemand, der sein Wort hält.
DER KARPFEN KANN FUTTERNEID EMPFINDEN . Wenn Fische fressen, kommt er. Im Herbst, bei sinkender Wassertemperatur, braucht er immer weniger Nahrung.
Die Hornissenmännchen begatten die Jungköniginnen und sterben akkurat. Die Jungköniginnen richten sich bis zum Frühling ein unter dem Moos, im morschen Holz, in den Albträumen der Libelle.
Im Kiecker, dem alten Wald, meißelt der Specht die Millisekunden unserer Sterblichkeit ab.
Der Herbst ist ja da.
Das Rudel ist wach.
GENAU EIN JAHR IST ES JETZT HER , am Tag vor dem letzten Fest, da hat Ulli seine Garage ausgeräumt, hat eine Sitzgruppe und fünf Tische und eine Heiztonne aufgestellt, einen Vorhang aus rot-gelbem Tüll vor das einzige Fenster gehängt und einen Kalender mit Polinnen, die an Motorrädern lehnen, halb wegen Ironie, halb wegen Ästhetik, an die Wand genagelt. Ein Sternikostetachtzig Cent, ein Stierineunzig, Molle mit Kompott einsfünfzig, und am Wochenende kann man Fußball gucken, und das alles rechnen ihm die Männer hoch an, auch wenn es keiner sagt.
Wir trinken in Ullis Garage, weil nirgends sonst Sitzgelegenheiten und Lügen und ein Kühlschrank so zusammenkommen, dass es für die Männer miteinander und mit Alkohol schön und gleichzeitig nicht zu schön ist. Nirgends, wo nicht Zuhause ist, gibt es überdacht und in Laufdistanz Pils und Sky Bundesliga und Rauchen und Unter-sich-Sein.
Alle Ehre, Gleis 1 . In Gleis 1 willst du aber nicht picheln. Du willst dir ein Abendessen leisten, vielleicht zu einem Jubiläum. Weil, betrink dich mal, während dich Plastikblumen und Radtouristen angucken. Ab und an besorgt Veronika echte Tulpen. Betrink dich mal, während dich echte Tulpen angucken.
Ullis Garage riecht lieblich nach Motoröl. Das Tor schmücken alte Motorradkennzeichen und Bierwerbung und auf einem Schild der Reichsadler mit der Aufschrift Deutsche# Kaiserreich
Weitere Kostenlose Bücher