Vor dem Fest
mitkommen, aber erst noch jeder ein Bierchen auf die Hand, es gibt was zu begießen.
Es ist der Gedenkstein: Eine kleine Holztafel hängt daran. So, und jetzt liest Ulli unter freudigen Imboden-Augen von Ladas Tafel ab. Auch die Wettrentner haben sich dazugesellt, schon wird auf Ulli angestoßen. Dem ist es ein bisschen angenehm und unangenehm auf einmal, wegen dem, was auf der Tafel steht, jetzt so auf sich selbst zu trinken, obwohl es soweit stimmt.
Juan Steffen hat Frieden in süd Amerika gemacht.
Ulli hat die Garage in Fürstenfelde gemacht.
Ulli nickt, alle nicken. Und nu? Ja, nüscht, weiter geht’s.
Imboden geht zu Frau Reiff. Er ist mit dem Glöckner verabredet, die alte Garde, früher wäre der Eddie noch dabei gewesen. Es gibt Kaffee und Apfelkuchen und einen Vortrag. Vorträge mögen die beiden, es wäre schön, wenn häufiger welche kämen, aber gut.
Imboden erzählt dem Glöckner von der Tafel, der Glöckner ihm von seiner Verletzung. Spannender ist, was sie verschweigen. Der Glöckner verschweigt, dass er nicht mehr Glöckner sein möchte, sondern nur noch Gustav, und Imboden verschweigt, dass er wieder in der Garage war. Das Motiv ist bei beiden ähnlich: Scham. Imboden weiß: Gustav hält von der Garage nicht viel. Er stört sich an dem Menschenschlag. Prinzipiell hält der Glöckner sich selbst für einen nicht zu feinen, aber eben auch nicht zu unfeinen Menschenschlag. Vor allem aber merkt er, wenn Imboden getrunken hat. Auch dagegen hat er prinzipiell nichts, bloß wäre es ihm lieber, wenn Imboden mit ihm trinken würde. Das hat nichts mit dem Menschenschlag zu tun, sondern damit, dass er dann auf Imboden besser aufpassen könnte.
Nach dem Vortrag (ein Freizeittaucher hat Dias von Dingen gezeigt, die auf dem Grund unserer Seen liegen, eine Panzerfaust und eine Waschmaschine zum Beispiel) schmieden die Alten den Rest des Tages. Gleich, um zwölf, sollte der Glöckner Johanns Prüfung abnehmen. Er hat entschieden, die findet nicht statt. Er müsste beim Beiern eine Glocke übernehmen, und das kann er nicht. Er will es auch nicht. Wie er das dem Jungen beibringen soll, weiß er nicht. Um zwölf ist auch das antifaschistische Radfahren angesetzt, Imboden muss da hin, als Vater der Vize-Bürgermeisterin kann er das ja schlecht boykottieren.
Damit niemand auf falsche Gedanken kommt, sollten wir an dieser Stelle sowieso mal klarstellen, dass es sich genau genommen um ein präventives antifaschistisches Radfahren handelt, weil Rassismus etc. als Tradition seit dem Krieg bei uns keine öffentliche Pflege mehr erfahren hat, anderswo in der Gegend aber natürlich schon. Außer vielleicht mal bei Ulli, neulich etwa, als Özil wieder nicht mitgesungen hat bei der Hymne und einige meinten, sich also nicht freuen zu können, wenn Özil trifft: Nur wer für ein Land singe, der treffe für ein Land. Und das glauben wir, dass sie glauben, sich nicht zu freuen, aber es stimmt nicht, weil sie sich doch gefreut haben, als es dann knapp wurde und Podolski das Spiel entschied.
Frau Schwermuth jedenfalls hat das antifaschistische Fahrradfahren initiiert und mit zwanzig Teilnehmern gerechnet. Um zwölf warten achtzig vor dem Haus der Heimat. Trillerpfeifen, eine IG Heavy Metal -Fahne von einem Scherzbold, einige extra aus Prenzlau und Woldegk hergeradelt.
Um fünf nach ist Frau Schwermuth noch nicht da. Wir erwarten nicht, dass sie erscheint. Dann aber klingelt eine Fahrradklingel, und Frau Schwermuth hat den Stahlhelm durch einen Radhelm ersetzt und düst lachend die Marx hinunter: »Keine Bremsen, folg mir, Volk!«
Insgesamt kann man sagen, das antifaschistische Radfahren war ein Erfolg, aber auch irgendwie nicht so wirklich, nicht mal deswegen, weil nach drei Runden im Dorf schon Schluss war, sondern weil Rico und Luise noch gar nicht wach waren um zwölf.
In der dritten Runde kam die Radsportgruppe Templin dazu. Sie machten ein Zeitfahren uns zu Ehren, Templin – Fürstenfelde – Templin. Allgemeines Geklingel der antifaschistischen Radfahrer, allgemeines Winken der Zeitfahrer, weil die keine Klingeln haben, jedes Gramm Gewicht ist ein Gramm zu viel. Frau Schwermuth kurz im Windschatten eines Sportradlers. Freude allerseits.
Der Ausklang fand im Pfarrhaus statt. Frau Schober hatte drei Kirschkuchen für die Radfahrer gebacken, das war jetzt natürlich viel zu wenig Kirschkuchen. Hirtentäschel hielt eine halbstündige Rede über den Antisemitismus, welcher in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft
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