Vor dem Sturm
glühen; als ich aber aufstand, um nach dem Schein zu sehen, war ich nicht mehr allein und gewahrte nur eine lange Reihe Verurteilter, die mit entblößtem Hals an einen Block geführt wurden. Ein entsetzliches Bild, und alles rot, wohin ich sah. Aber in diesem Augenblicke trat Hoppenmarieken in die Tür des Reichssaales, und alles rief: ›De möt et stillen.‹
Da hob sie den Stock, und es war kein Blut mehr; und das Bild versank und sie selber mit.
Heute früh war ich zu guter Stunde beim Frühstück; Papa und die Schorlemmer erwarteten mich schon. Ich hatte mich vor dieser Begegnung gefürchtet; die Scheune, die vor zwei Jahren niederbrannte, liegt noch als ein Schutthaufen da, und nun ein zweites Brandunglück, das wieder auszugleichen es vollends an den Mitteln fehlen wird. Ich fand aber eine ganz andere Stimmung vor, als ich gefürchtet hatte. Papa war gesprächig und von einer Weichheit, die mehr von Hoffnung als von Trauer zeugte. Er nahm meine Hand, und als er sah, daß ich nach einem Trostworte suchte, lächelte er und sagte:
Und eine Prinzessin kommt ins Haus,
Ein Feuer löscht den Flecken aus –
Ich fange an, mich mit dem alten Hohen-Vietzer Volksreim auszusöhnen. Die Prinzessin läßt noch auf sich warten, aber der Flecken ist fort, das Feuer hat ihn ausgelöscht. Ja, meine liebe Renate, Rätsel umgehen uns, und vielleicht ist es Torheit, uns in dem Doppelhochmut unseres Wissens und Glaubens alles dessen, was Aberglauben heißt und vielleicht nicht ist, entschlagen zu wollen. Auch in ihm, von weither herangeweht, liegen Keime der Offenbarung. ›Ein Feuer löscht den Flecken aus‹, inmitten all dieser Prüfungen ist es mir, als müßten andere, bessere Zeiten kommen. Für uns, für alle.‹ Ich wollte antworten; aber Jeetze trat ein und meldete, daß Graf Drosselstein vorgefahren sei.
Da hast du den längsten Brief, den ich je geschrieben. Einen Gruß an Kathinka, auch an Frau Hulen.
Herzlichst Deine
Renate von V.
«
Lewin legte den Brief aus der Hand. Er war bewegt, aber dasselbe Gefühl, das in Vater und Schwester vorgeherrscht hatte, gewann auch in ihm die Oberhand: die Freude darüber, daß etwas Unheimliches aus ihrem Leben genommen sei.
Er setzte sich schnell an sein Pult und schrieb eine vorläufige kurze Antwort, in der er diesem Gefühle Ausdruck gab. Am Schlusse hieß es: »Der Altar ist nicht mehr, und der alte Matthias, wenn er weiter ›spöken‹ will, muß sich eine andere Betestelle suchen.« Aber er erschrak vor seinen eigenen Worten, als er sie wieder überlas. »Das klingt ja«, sprach er vor sich hin, »als lüd ich ihn aus dem Saalanbau in unser Wohnhaus hinüber. Das sei ferne von mir. Ich mag den ›Komtur‹ nicht zu Gast bitten.« Und mit dicker Feder strich er die Stelle wieder durch.
Dann kleidete er sich rasch an, um Jürgaß, der nach dieser einen Seite hin empfindlich war, nicht warten zu lassen.
Zehntes Kapitel
Dejeuner bei Jürgaß
Nicht bloß die alte Exzellenz Wylich, wie Geheimrat von Ladalinski sich ausgedrückt hatte, war ein Pünktlichkeitspedant, sondern auch Jürgaß. Dies wußte der ganze Kreis. So kam es, daß sich eine Minute vor zwölf alle Geladenen auf Flur und Treppe trafen, selbst Bummcke, der die scherzhaft eingekleidete, aber ernst gemeinte Reprimande von der letzten Kastaliasitzung her noch nicht vergessen hatte.
Die Jürgaßsche Wohnung befand sich in einem mit einigen Reliefschnörkeln ausgestatteten Eckhause des Gensdarmenmarktes und nahm die halbe nach dem Platze zu gelegene Beletage ein. Sie bestand, soweit sie zu repräsentieren hatte, aus einem schmalen Entree, einem dreifenstrigen Wohn- und Gesellschaftszimmer und einem Speisesalon. Schon die Größe der Wohnung, noch mehr ihre Ausschmückung, konnte bei einem märkischen, auf Halbsold gestellten Husarenoffizier, dessen väterliches Gut mit drei seiner besten Ernten nicht ausgereicht haben würde, auch nur ein Dritteil dieser Zimmereinrichtungen zu bestreiten, einigermaßen überraschen; unser Rittmeister war aber nicht bloß der Sohn seines Vaters, sondern auch der Neffe seiner Tante, eines alten Fräuleins von Zieten, die, als Konventualin von Kloster Heiligengrabe, ihrem Liebling, eben unserem Jürgaß, ihr ganzes, ziemlich bedeutendes Vermögen testamentarisch hinterlassen hatte. In diesem Testament hieß es wörtlich: »In Anbetracht, daß mein Neffe Dagobert von Jürgaß, einziger Sohn meiner geliebten Schwester Adelgunde von Zieten, verehelichten von
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