Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
Blatt noch einmal auseinanderrollend, mit jener Ruhe, die einem das Gefühl, seinen Gegenstand zu beherrschen, gibt, anhob: »Der arme Struensee! Ich habe die Stelle gesehen, draußen vor der Westerngade, wo sie ihm den Kopf herunterschlugen. Was war es? Neid, Rancune und nationales Vorurteil. Ein Justizmord ohnegleichen. Er war so unschuldig wie die liebe Sonne.«
    »Seine Intimitäten schienen aber doch erwiesen«, bemerkte Jürgaß wichtig, dem nur daran lag, seinen Infanteriekapitän in das geliebte dänische Fahrwasser hineinzubringen.
    »Intimitäten!« entgegnete dieser, der dem Köder, trotzdem er den Haken sah, nicht widerstehen konnte. »Intimitäten! Ich versichere Ihnen, Jürgaß, alles Torheit und Verleumdung. Ich habe während meines Aufenthaltes in Kopenhagen Gelegenheit gehabt, zu Personen in Beziehung zu treten, die, passiv oder aktiv, in dem Drama mitgewirkt haben. Ein Spiel war es mit Ehre und Leben, eine blutige Farce von Anfang bis zu Ende. Das Kanonisieren ist außer Mode; hätten wir noch einen Rest davon, diese Königin Karoline Mathilde müßte heiliggesprochen werden.«
    »Wenn es nicht indiskret ist, nach Namen zu fragen, woher stammen Ihre Informationen?«
    »Vom Leibarzt der Königin«, sagte Bummcke.
    »Nun, der muß es wissen«, erwiderte Jürgaß übermütig, »aber er schafft mit seiner Autorität die Aussagen derer, die sich selber schuldig bekannten, nicht aus der Welt. Ich appelliere vorläufig an unseren Freund Hansen-Grell. Er muß doch in seinem gräflichen Hause das eine oder das andere über den Hergang gehört haben.«
    »Nein«, antwortete dieser, »das gräfliche Haus, soviel ich weiß, hatte Ursache, über den Fall zu schweigen, und ihn aus Büchern kennenzulernen, habe ich versäumt. Ich muß mich überhaupt anklagen, der dänischen Geschichte, von einzelnen weit zurückliegenden Jahrhunderten abgesehen, nicht
das
Maß von Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, das ihr gebührt.«
    »Und wir hatten gerade«, bemerkte Tubal verbindlich, »nach Ihrer Hakon-Borkenbart-Ballade, womit Sie uns am Weihnachtsabend erfreuten, den entgegengesetzten Eindruck.«
    »Weil Sie aus meiner Kenntnis der halb sagenhaften Vorgeschichte des Landes allerhand schmeichelhafte Rückschlüsse auf meine gesamte dänische Geschichtskenntnis zogen. Aber leider mit Unrecht. Ich habe mehr um Dichtungs als um Historie willen im Saxo Grammaticus und in den älteren Mönchschroniken gelesen, so viel, daß ich schließlich die moderne Königin Karoline Mathilde über die alte Königin Thyra Danebod vergessen habe.«
    »Thyra Danebod«, rief Jürgaß in aufrichtigem Enthusiasmus, »das ist ja ein wundervoller Name. Er tingelt etwas weniger als Kathinka von Ladalinska; aber trotzdem! Was meinen Sie, Bummcke?«
    Bummcke, der sich so unerwartet an den Ladalinskischen Ballabend erinnert sah, drohte gutmütig mit dem Finger; Hansen-Grell aber fuhr fort: »Ich teile ganz den Enthusiasmus unseres verehrten Wirtes, und wenn ich auf das Gewissen gefragt würde, würd ich bekennen müssen, aus dem Zauber dieses Namens, und vieler ähnlicher, so recht eigentlich die Anregung zu meinem Studium altdänischer Geschichten empfangen zu haben. Sigurd Ring und König Helge, Ragnar Lodbrok und Harald Hyldetand entzückten mich durch ihren bloßen Klang, und sooft ich dieselben höre, ist es mir, als teilten sich die Nebel und als sähe ich in eine wundervolle Nordlandswelt, mit klippenumstellten Buchten, und vor ihnen ausgebreitet das blaue Meer und hundert weißgebauschte Segel am Horizont.«
    »Es ist der fremde Klang, der unser Ohr gefangennimmt«, bemerkte Hirschfeldt, der sich von Spanien her ähnlich bestechender Namenseindrücke entsinnen mochte, und Lewin und Tubal stimmten ihm bei.
    »Gewiß«, fuhr Hansen-Grell fort, »dieser Fremdklang ist von Bedeutung. Aber es ist, über denselben hinaus, doch schließlich ein anderes noch, was diesen altdänischen Namen ihren eigentümlichen Zauber leiht. Es spricht sich nämlich in ihnen jene der Sprichwörterweisheit der Völker verwandte Begabung aus, Menschen, Erscheinungen, ja ganze Epochen in einem einzigen Beiwort zu charakterisieren. Die Kraft in der Knappheit, das Viel im Wenigen,
da
haben wir den Schlüssel zum Geheimnis.«
    Bummcke geriet in Aufregung, so sehr, daß er – was sonst nicht seine Sache war – den Château d'Yquem mit ablehnender Handbewegung an sich vorübergehen ließ und zu Hansen-Grell wie zu einem Herzensvertrauten hinüberrief: »Ich weiß, worauf Sie

Weitere Kostenlose Bücher