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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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russischer Offiziere, mit denen ich später im Smolensker Lazarette lag. Und nun habe ich geschlossen und ersuche unseren verehrten Wirt, in jedem Momente, der ihm passend scheint, über mich zu verfügen.«
    »Nehmen wir den Kaffee«, damit hob Jürgaß die Tafel auf und schritt, Herrn von Meerheimb den Arm bietend, in das Wohnzimmer voran.
    Hier waren inzwischen alle Vorbereitungen getroffen und, trotzdem es noch früh war – nach vorgängiger Schließung der schweren Fenstergardinen –, die kleinen mit Kristallglas gezierten Wandleuchter angezündet worden. In dem blanken englischen Kamin, der als Schmuckstück der Wohnung in den großen Ofen hineingebaut worden war, brannte ein helles Feuer, und um den Sofatisch herum, den ein golddurchwirktes türkisches Tuch bedeckte, standen an den frei gebliebenen Seiten hohe Lehnstühle und gepolsterte Sessel. Der Kaffee wurde serviert, und während Wirt und Gäste um den Tisch her Platz nahmen, rückte sich von Meerheimb einen Doppelleuchter zurecht und las: »Borodino«.
Elftes Kapitel
     
Borodino
    ... Wir glaubten nicht mehr, daß die Russen standhalten würden. Sie zogen sich auf der großen Smolensker Straße zurück, vermieden jedes Rencontre mit unsern Vortruppen und schienen Moskau ohne Schwertstreich preisgeben zu wollen. Es war aber anders beschlossen; auf russischer Seite wechselte der Oberbefehl, Kutusow kam an Barclay de Tollys Stelle, und unserm Einzuge in Moskau ging ein Zusammenstoß voraus, von dem der Kaiser selbst bei hereinbrechender Nacht sagte: »Ich habe heute meine schönste Schlacht geschlagen, aber auch meine schrecklichste.«
    Das war bei Borodino am 7. September.
    Schon der 5. gab uns einen Vorschmack. Als wir am Abend dieses Tages ins Biwak rückten, hörten wir, daß in unserer Front ein heftiges Gefecht stattgefunden und die Division Compans, zu der auch das 61. Linienregiment gehörte, eine russische Schanze gestürmt habe. Unmittelbar darauf sei der Kaiser erschienen und habe, die Lücken in dem genannten Regimente wahrnehmend, unruhig gefragt: »Wo ist das dritte Bataillon vom Einundsechzigsten?«, worauf der alte Compans geantwortet habe: »Sire, es liegt in der Schanze.«
    Am 6. hatten wir Gewißheit, daß uns die Russen eine Schlacht bieten würden, und tags darauf standen wir ihnen in aller Frühe schon auf Kanonenschußweite gegenüber.
    Es war ein klarer Tag. Die Sonne, eben aufgegangen, hing wie eine rote Kugel über einem Waldstrich am Horizont und sah auf das kahle Plateau hinunter, das sich, halb Brache, halb Stoppelfeld, in bedeutender Tiefe, aber nur etwa in Breite einer halben Meile, vor uns ausdehnte. Die Höhenstellung, auf der wir hielten, erleichterte es mir, mich in dem Terrain zurechtzufinden, und ich erkannte bald, daß das vor uns liegende Plateau keineswegs eine glatte Tenne sei, sondern mehrere kleine Senkungen und Steigungen habe. Namentlich eine dieser Senkungen, allem Anscheine nach ein ausgetrocknetes Flußbett, markierte sich scharf und zog sich, das voraussichtliche Schlachtfeld in zwei Hälften teilend, wie ein Wallgraben zwischen unserer und der feindlichen Stellung hin. Hüben wir, drüben die Russen. Dies ausgetrocknete Flußbett hieß der Semenowskagrund. Wer angriff, mußte diesen Grund passieren, und in der Tat drehte sich die neunstündige Schlacht um den Besitz desselben und dreier teils am diesseitigen, teils am jenseitigen Rand gelegenen Positionen. Diese drei Positionen waren die folgenden: 1. die Bagrationfleschen; 2. das Dorf Semenowskoi und 3. die große Rajewskischanze. Position zwei und drei lagen jenseit des Grundes, auf der von den Russen besetzten Hälfte des Schlachtfeldes, Position eins aber, die Bagrationfleschen, waren brückenkopfartige, bis an den diesseitigen Rand des Semenowskagrundes vorgeschobene Werke. Alle drei Positionen bildeten das feindliche Zentrum, an das sich ein rechter und linker Flügel anlehnte. Der rechte bei Borodino, der linke bei Utiza. In tiefen Kolonnen stand der Feind, scheinbar endlos. Wir sahen weithin das Blitzen der Bajonette und in Front seiner Stellung, am Rande des Grundes hin, die dunkeln Öffnungen seiner Geschütze.
    Soweit der Feind. Aber das helle Licht des Morgens, dazu die Höhen, die wir innehatten, gönnten uns auch einen Überblick über unsere eigene Aufstellung. Unmittelbar vor uns, in sechs Divisionsmassen, standen die Corps von Davoust und Ney, hinter uns Junot und die Garden, während wir selber, zehntausend Reiter unter König Murat,

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