Vor dem Sturm
blutrünstig gewordenen Hals und Nacken, daß alle Anstrengungen des Strolchs keinen anderen Zweck gehabt hatten, als ihr die Geldtasche zu entreißen, die sie herkömmlich an einem harten und engen Lederriemen um den Hals trug. Der Riemen hatte aber weder reißen noch auch sich über den Kopf fortziehen lassen wollen.
In diesem Momente schlug Hoppenmarieken die Augen auf. Ihr erstes war, daß sie nach der Tasche faßte; dann erst musterte sie die Personen, die um sie beschäftigt waren. Ein ihr sonst nicht eigenes, gutmütiges Lächeln, das mit ihrer Häßlichkeit aussöhnen konnte, flog über ihr Gesicht, als sie Lewin, ihren Liebling, erkannte, den einzigen Menschen, an dem sie wirklich hing. Sie streichelte und patschelte ihn; als aber Tubal auch jetzt noch fortfuhr, ihr in einer ihr lästigen Weise die Stirn mit Schnee zu reiben, wurde sie ungeduldig, stieß ihn zurück und wies mit dem Zeigefinger immer heftiger auf die neben ihr stehende Kiepe. Lewin verstand ihr Gebaren einigermaßen und begann in der Kiepe umherzukramen. Als er, gleich in der obersten Lage, eine mit einem Sacktuche umwickelte Flasche fand, wußte er, was Hoppenmarieken gemeint hatte. Er machte Miene, während er sich über sie bog, etwas von dem Branntwein in seine Hand zu gießen; aber jetzt richtete ich ihr Unmut selbst gegen diesen, und ihm ärgerlich die Flasche aus der Hand reißend, tat sie einen tüchtigen Zug. Sofort hatte sie all ihre Lebenskräfte wieder, drückte den Kork in die Flasche und rief Lewin zu: »Nu helpt mi up, Jungeherr.« Dann setzte sie die Kiepe auf den Steinhaufen, legte den langen Krummstock daneben und fuhr mit ihren kurzen Armen durch die leinenen Kiepenbänder. So stand sie wieder marschfertig da. »Willst du nicht mit uns zurück?« fragte Lewin. »Wir begleiten dich.«
Sie schüttelte den Kopf und setzte sich nach der entgegengesetzten Seite hin in Marsch, im Selbstgespräch allerhand Unverständliches vor sich hin murmelnd.
Die Freunde sahen ihr nach. Von Zeit zu Zeit blieb sie stehen und drohte mit ihrem Stock nach dem Wäldchen hinüber, in dem der eine der Strolche verschwunden war.
Dreizehntes Kapitel
In der Amts- und Gerichtsstube
Berndt von Vitzewitz war, während Tubal und Lewin ihren Besuch in Kirch-Göritz machten, nach Hohen-Vietz zurückgekehrt. Es lagen anstrengende Tage hinter ihm, zugleich Tage voller Enttäuschungen. Der Minister, wie wir wissen, hatte sich mit glatten Worten jeder bindenden Zusage zu entziehen gewußt, und auch in anderen einflußreichen Kreisen der Hauptstadt, soweit ihm dieselben zugänglich waren, war er der ihm verhaßten Wendung begegnet: »Wir müssen abwarten.« Nirgends ein Verstehen des Moments. Nur in Guse hatte sich Hauptmann von Rutze, mit dem er unmittelbar vor dem Aufbruch noch ein Gespräch herbeizuführen wußte, seinen auf rücksichtsloses Vorgehen gerichteten Plänen geneigt gezeigt. Drosselstein schwankte; aber auf der Fahrt von Guse nach Hohen-Ziesar war er unter dem Einflusse, den Berndts Beredsamkeit ausübte, anderen Sinnes geworden und hatte schließlich nicht nur einer allgemeinen Volksbewaffnung, sondern auch, wenn kein regelrechter Krieg erklärt werden sollte, dem Plane eines auf eigene Hand zu führenden Volkskrieges zugestimmt.
Bei seinem Eintreffen in Hohen-Vietz war Berndt angenehm überrascht, Besuch vorzufinden. Er hatte das Bedürfnis, von Zeit zu Zeit seinen ihn mit der Macht einer fixen Idee beherrschenden Plänen entrissen zu werden, und niemand war dazu geschickter als Kathinka, die, während sie die politischen Gespräche vermied, zugleich geistvoll genug war, den entstehenden Ausfall durch glückliche Impromptus oder durch Pikanterien aus den Hof- und Gesellschaftskreisen zu decken. Ihre Erscheinung wirkte mit. Er überließ sich auch diesmal ihrem Geplauder, vergaß über der Schilderung eines Ballabends bei Exzellenz Schuckmann, wo der bayrische Gesandte dies und das gesagt oder getan hatte, momentan alle Pläne und Sorgen und sah sich der heiteren Zerstreuung dieses Geplauders erst wieder entzogen, als das Erscheinen Tubals und Lewins und ihre Erzählung des eben gehabten Abenteuers seine Gedanken in das alte Geleise zurückdrängten. Er klingelte.
»Jetzt«, rief er dem eintretenden Diener zu, »schicke Krists Willem zum Schulzen. Oder gehe lieber selbst. Ich müßt ihn sprechen. Morgen früh halb elf.«
Er wollte nach diesem Zwischenfall, schon um Kathinkas willen, das Gespräch in den Ton leichter Unterhaltung
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