Vor dem Urknall
der gleichen Jahrgangsstufe. Die Steady-State-Theorie ähnelt eher einem ganzen Schulsystem. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt gibt es Kinder in allen Jahrgangsstufen, die einen sind gerade Schulanfänger, andere stehen kurz vor dem Abschluss. Tauschen wir jetzt die Kinder gegen Galaxien aus. Im Urknallmodell sollten alle Galaxien ungefähr dasselbe Alter haben. Es sind alles reife, erwachsene Galaxien. Um die «Kindergartengalaxien» sehen zu können, müsste man sehr weit zurück in der Zeit schauen (was für astronomische Zwecke angesichts der begrenzten Lichtgeschwindigkeit dasselbe ist, als sagte man: Schau weit hinaus ins Weltall). Beim Steady State sollten sich stets neue Galaxien bilden, sodass es keine Notwendigkeit gibt, in den Tiefen von Zeit und Raum nach Kindern Ausschau zu halten. Sie sollten eigentlich direkt hier, vor unserer Haustür, sein.
In den späten 1940 er Jahren war das Equipment der Astronomen einfach nicht gut genug, um herauszufinden, ob es diese «Kindergartengalaxien» überhaupt gab. Falls es sie tatsächlich ganz in der Nähe gegeben hätte, wie der Steady State es nahelegte, wären die damaligen Teleskope nicht geeignet gewesen, sie von erwachsenen Galaxien zu unterscheiden. Wären sie andererseits weit entfernt gewesen, wie es das Urknallmodell vorschlug, befänden sie sich weit außerhalb der Reichweite jedes Teleskops. Hoyle hatte also einen Test angeregt, der sich nicht ausführen ließ. Inzwischen können wir aber viel weiter in Raum und Zeit zurückschauen. Quasare (Kurzfassung für «quasistellare Objekte») neigen dazu, wie ein Stern auszusehen, dem ein Jet (Strahl) seitwärts entweicht, aber die Erscheinung ist trügerisch. Vermutlich sind es riesige junge Galaxien. Diese Quasare sind nur in enormer Entfernung sichtbar, meistens mehr als 3 Milliarden Lichtjahre entfernt, in der Vergangenheit des Universums. Nirgendwo sonst scheint es «Kindergartengalaxien» zu geben. Und das sind schlechte Nachrichten für den Steady State.
Quasi-Steady-State
Hoyle ergab sich nicht kampflos. Sogar noch 2000 , ein Jahr vor seinem Tod, veröffentlichte Hoyle ein Buch mit seinen Kollegen Geoffrey Burbidge und Jayant Narlikar. Dabei versuchten sie, wie der Untertitel suggerierte, «von einem statischen Universum durch den Urknall zur Wirklichkeit» vorzustoßen. Hoyles Buch ist deshalb wichtig, weil es einige echte Probleme benennt, die die Kosmologie gegen Ende des 20 . Jahrhunderts angehäuft hatte.
Wenn ein Experiment wie der COBE -Satellit, das viele Millionen Dollar koste und der Kooperation mit der NASA bedürfe, gerechtfertigt werde, müssten, so führte Hoyle aus, «bevor die Instrumente gebaut werden können, extravagante Behauptungen über die erhofften Funde aufgestellt werden. Es überrascht daher kaum, dass in dem Augenblick, wenn die Instrumente funktionieren, die Ansprüche noch höher geschraubt werden, was schließlich darauf hinausläuft, dass die Erwartungen
in der Tat erfüllt worden sind
.»
«In einer Ära, in der seriöse Wissenschaftler einen solchen Ansatz vertreten können», sagte Hoyle, «gibt es keinen Raum für die Entdeckung von Phänomenen, die man nicht bereits erwartet.» Das führe zu konformistischer Wissenschaft, befürchtete er, und es werde sehr schwer, die augenblicklich anerkannte Weisheit hinter sich zu lassen, sei es nun der Urknall oder andere dominierende, aber unbewiesene Theorien wie etwa die Stringtheorie. Obwohl Hoyle durchaus eine Neigung zu unnötiger Streitlust hatte, als er sich für die peinlich berührte Jocelyn Bell einsetzte, hatte er nicht ganz unrecht.
Wenn Experimente so großmaßstäblich und teuer sind, gibt es eine starke Tendenz, nur die Arbeit zu finanzieren, die das unterstützt, was wir bereits glauben, statt wahrhaft neue Felder zu eröffnen. Es kann schwierig sein, gegen den Strom zu schwimmen. Und allein schon aus diesem Grund lohnt es sich, uns Hoyles letzte Einschätzung, was beim Urknallmodell schiefging, kurz anzusehen.
Hoyle und seine Kollegen entwickelten das «Quasi-Steady-State-Modell», das recht gut all die Probleme ansprach, denen der Steady State gegenüberstand. Darin wird Materie kontinuierlich überall im Weltall durch «annähernd Schwarze Löcher» erzeugt, statt in einem einzigen Augenblick in unendlich kurzer Zeit nach dem Urknall selbst entstanden zu sein. Das sind Sterne, die fast Schwarze Löcher sind, aber nicht genügend Masse haben, sodass sie noch mit dem Universum da draußen kommunizieren
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