Vor dem Urknall
reden, ist entweder die Erinnerung vergangener Zeit oder zukünftige Zeit. Wir erleben keine längeren Zeitabschnitte. Stellen Sie sich vor, Sie hätten acht Stunden in einem kahlen Wartezimmer ohne Zeitschriften oder die Möglichkeit, irgendetwas zu tun, warten müssen, um jemanden zu treffen. Wahrscheinlich würden Sie sagen, es sei eine quälend lange Wartezeit gewesen. Aber eigentlich würden Sie gar keine lange Zeit erleben. Sie würden voraussehen, welche lange Wartezeit vor ihnen liegt. Sie würden sich an eine lange Wartezeit erinnern, nachdem sie vorbei ist. Aber erleben würden Sie stets nur den bruchstückhaften Augenblick des Jetzt.
Betrachten wir den Urknall aus einer augustinischen Perspektive (was in sich selbst eine seltsame Verzerrung der Zeit ist, denn wir nehmen ja den Standpunkt eines Menschen ein, der 1600 Jahre vor der Erfindung des Begriffs Urknall lebte), dann fangen wir mit dem «Jetzt» des Urknalls selbst an. Um die Vergangenheit müssen wir uns keine Sorgen machen. Kein Bedarf für einen kausalen Anschub, der von Natur aus ein «Davor» erfordert. Ganz allein der Urknall in einem «Jetzt», das dem Jetzt ähnelt, das Sie gerade erleben. Jetzt – dieser Augenblick. Wenn Sie dieses nächste Wort lesen werden. Jetzt.
Ich empfehle Ihnen wirklich, einen Augenblick innezuhalten (was selbst schon ein heikles Konzept in dieser zeitlosen Auffassung vom Bewusstsein ist), um sich mit diesen Vorstellungen vertraut zu machen. Spielen Sie ein wenig mit diesen Begriffen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Erwerben Sie sich ein Gefühl für das Konzept des Anfangs der Zeit. Es gibt kein «Davor».
Die Vorstellung, die Zeit habe mit dem begonnen, was Augustinus die Schöpfung nennen würde, ist nicht allein die Meinung eines Klerikers aus dem vierten Jahrhundert, auf den man sich heute immer noch beruft (obwohl ich es in der Tat faszinierend finde, dass in fast jedem Buch über den Urknall Augustinus erwähnt wird und ich es selbst in unserer Zeit noch lohnenswert finde, die
Bekenntnisse
zu lesen). Es ist eine echte Schlussfolgerung, die wir aus unserem modernen Verständnis von Raum und Zeit ziehen und die nun einmal mit den Vorstellungen des Augustinus in Einklang steht. Und so wird er immer wieder hineingezogen.
Raum, Zeit und Relativität
Der Grund, warum man glaubt, dass die Zeit mit dem Urknall begann, war nicht etwa das Hervortreten des Universums in den Raum, sondern vielmehr die Entstehung des Raumes selbst. Vor dem Urknall, so vermutet die Standardtheorie, gab es keinen Raum: keinen leeren Raum, nur das Nichts. Und das Einstein’sche Bild des Universums verschmilzt Raum und Zeit zu einer Einheit: kein Raum, keine Zeit, weil das Ganze eins ist: Raumzeit.
Manch einer könnte diese Vorstellung der «Zeit als vierter Dimension» und die Verknüpfung der Zeit mit dem Raum zum einheitlichen Konzept der Raumzeit leicht für lediglich eine Frage der Terminologie halten. Man könnte annehmen, die Wissenschaftler meinten, Zeit sei «ein bisschen so etwas» wie eine räumliche Dimension. Aber Einstein zeigte, dass die Zeit eine grundsätzliche, feststehende Verbindung zum Raum hat. Die relative Bewegung im Raum bringt tatsächliche Veränderungen in der Beschaffenheit des Zeitablaufs hervor.
Nehmen Sie den einfachen Fall eines Raumschiffs, das von der Erde mit halber Lichtgeschwindigkeit davonfliegt. Wenn es zehn Lichtjahre entfernt ist (eine Reise, deren Dauer wir als 20 Jahre erleben), werden die Uhren an Bord des Raumschiffs von unserem Standpunkt aus um 5 ¾ Jahre nachgehen. Sagen wir, das Schiff habe die Erde im Jahr 2020 verlassen. Könnten wir dann irgendwie einen unmittelbaren Blick auf das Schiff im Jahr 2040 werfen, wäre es auf dem Schiff erst 2034 . Das ist nicht einfach nur ein seltsamer optischer Effekt, wie beispielsweise die Perspektive Objekte kleiner zu machen scheint, als sie sind. Die Zeit auf dem Raumschiff wäre aus unserer Sicht wirklich so viel langsamer abgelaufen.
Die spezielle Relativität, die sich mit Objekten beschäftigt, die nicht beschleunigt werden, wird kombiniert mit der allgemeinen Relativität, bei der es um Beschleunigung und Gravitation geht. (Nicht beschleunigte Objekte bewegen sich geradlinig fort, während eine Beschleunigung einfach einen Geschwindigkeitswechsel bedeutet und eine Kehrtwendung eine Veränderung der Geschwindigkeit ist, weil Geschwindigkeit sich aus Tempo und Richtung zusammensetzt.) Durch die allgemeine Relativität haben wir
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