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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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Buch hineingeschrieben worden waren, in roter Tinte von Harriet und in schwarzer von ihm.
    Ob die beiden damals im Sommer an einem sonnigen Flügelfenster gesessen hatten? Oder hatten sie sich in dem Band verewigt, nachdem sie atemlos im Gewächshaus Schutz gesucht hatten, während ein plötzlicher Regenschauer in Sturzbächen über die Scheiben hinabrann und fahle, wässrige Schatten auf ihre jungen, staunenden Gesichter warf?
    Zwanzig Jahre glitten wie Wolkenschatten über Vaters Gesicht, aber nur ich konnte sie sehen.
    Jetzt wandten sich seine Gedanken Buckshaw zu. Die Quarto-Ausgabe des Shakespeare-Textes würde bei einer Auktion genug Geld einbringen, um alle seine Schulden zu tilgen. Wenn der Rest klug angelegt wurde, garantierte er uns womöglich ein bescheidenes, aber komfortables Einkommen, solange wir darauf angewiesen waren, und obendrein – so Gott wollte – war vielleicht noch das eine oder andere Pfund übrig, sodass er selbst sich ab und zu einen Block Penny Blacks von der Druckplatte 1B leisten konnte.
    Das alles konnte ich von seinem Gesicht ablesen.
    Er klappte das Buch zu, schaute uns einen nach dem anderen an … Daffy … Feely … den Vikar … Dogger, der gerade hereingekommen war … Tante Felicity … Nialla … und schließlich mich – als erhoffte er sich auf unseren Gesichtern eingemeißelte Anweisungen, wie er in dieser Sache verfahren sollte.
    Dann sagte er leise vor sich hin:
    »Wie oft sind Menschen, schon des Todes Raub
Noch fröhlich worden! Ihre Wärter nennen’s
Den letzten Lebensblitz. Wie mag nun dies
Ein Blitz mir heißen? – O mein Herz, mein Weib!
Der Tod, der deines Odems Balsam sog,
Hat über deine Schönheit nichts vermocht.«
    Daffy schnappte hörbar nach Luft. Feely war totenbleich, ihre Lippen öffneten sich, sie heftete den Blick auf Vater. Ich erkannte die Zeilen sofort als jene, die Romeo an Julias Grab sprach.
    »Noch bist du nicht besiegt … «, fuhr Vater noch leiser fort. Das Quarto-Büchlein hielt er fest umklammert.
    »… der Schönheit Fahne
Weht purpurn noch auf Lipp’ und Wange dir;
Hier pflanzte nicht der Tod sein bleiches Banner.«
    Er sprach zu Harriet!
    Seine tonlosen Worte waren kaum noch zu verstehen.
    »Soll ich glauben,
Der körperlose Tod entbrenn’ in Liebe,
Und der verhasste hagre Unhold halte
Als seine Buhle hier im Dunkeln dich?«
    Als wäre sie bei uns im Zimmer …
    »Aus Furcht davor will ich dich nie verlassen,
Und will aus diesem Palast dichter Nacht
Nie wieder weichen.«
    Damit drehte er sich um und schritt hinaus, als entfernte er sich von einem Grab.
    Mein Vater hält nicht viel von körperlichen Zärtlichkeiten, aber in diesem Augenblick hätte ich ihn gern umarmt. Ich wollte hinter ihm herlaufen, mich ihm in die Arme werfen und ihn so fest drücken, dass ihm die Luft wegblieb.
    Natürlich tat ich das nicht. Wir de Luces lassen unseren Gefühlen nicht einfach freien Lauf.
    Trotzdem, wenn dereinst die letzte Geschichte dieses Inselvölkchens geschrieben wird, gibt es vielleicht auch ein Kapitel über all die ruhmreichen Szenen, die sich nur in der britischen Gedankenwelt und niemals in der Wirklichkeit abgespielt haben. Wenn ja, so kommen Vater und ich darin auf jeden Fall vor, und wenn schon nicht Hand in Hand, dann doch zumindest Seit’ an Seit’ auf derselben unsichtbaren Parade.

D ie anderen waren Vater schweigend aus dem Salon gefolgt. Sie waren so unauffällig verschwunden wie Filmstatisten nach der großen Tanznummer und hatten mich allein auf dem Sofa zurückgelassen, wo ich mich wohlig ausstreckte, ein Weilchen die Augen zumachte und an die Zukunft dachte, die mir, zumindest soweit es die nähere Zukunft betraf, überwiegend aus dampfenden Senfwickeln, kübelweise Lebertran und der unerbittlichen Zwangsernährung mit Mrs Mullets widerwärtiger Krankenkost zu bestehen schien.
    Beim bloßen Gedanken an das Zeug zog sich mein Zäpfchen erschrocken hinter die Mandeln zurück. Das Zäpfchen ist der kleine hautige Stalaktit, der ganz hinten im Gaumen baumelt und dessen lateinische Bezeichnung »Uvula«, wie mir Dogger erklärt hatte, so viel wie »Träubchen« bedeutete.
    Woher wusste Dogger das bloß alles? Obwohl sich seine Kenntnis des menschlichen Körpers schon bei zahlreichen Gelegenheiten als sehr nützlich erwiesen hatte, war ich erst kürzlich auf die Idee gekommen, dass sein Wissen vermutlich mit seinem Alter zu tun hatte. Bei jemandem, der schon so lange auf dieser Welt weilte wie Dogger,

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