Vorhang auf für eine Leiche
zwischen zweien meiner Vorfahren, Antony und William de Luce, bei dem es um den Sportsgeist bei gewissen militärischen Taktiken im Krimkrieg ging, hatten sie Buckshaw in zwei Lager geteilt, deren Demarkationslinie sich mit schwarzer Farbe mitten durch die Eingangshalle zog: eine Linie, die keiner der Kontrahenten übertreten durfte. So kam es aus den verschiedensten Gründen – von denen manche ziemlich langweilig, andere ausgesprochen absurd sind – noch während der Regierungszeit von König George V. dazu, dass man andere Teile des Hauses renovierte, während der Ostflügel größtenteils unbeheizt blieb und schließlich aufgegeben wurde.
Das hervorragende Chemielabor, das für meinen Großonkel Tarquin (oder kurz »Tar«) de Luce von dessen Vater eingerichtet worden war, hatte ein vergessenes und vernachlässigtes Dasein gefristet, bis ich seine Schätze entdeckt und für mich beansprucht hatte. Mithilfe von Onkel Tars sorgfältig geführten Notizbüchern und meiner bedingungslosen Leidenschaft für die Chemie, die mir offenbar schon von Geburt an im Blut lag, hatte ich bereits beachtliche Fähigkeiten darin erworben, »die Bausteine des Universums umzugruppieren«, wie ich es immer nannte.
»Beachtliche Fähigkeiten?«, protestierte meine innere Stimme. »Nur ›beachtliche‹? Jetzt mach aber mal halblang, Flavia! Du weißt genau, dass du ein absolutes Genie bist!«
Die meisten Chemiker, ob sie es nun zugeben oder nicht, hegen in ihrem Metier ein kleines Steckenpferd, auf dem sie am liebsten herumreiten. Mein Steckenpferd sind die Gifte.
Auch wenn ich noch immer in Verzückung geraten kann, wenn ich daran denke, wie ich einmal die Schlüpfer meiner Schwester Feely kräftig currygelb gefärbt habe, indem ich sie in einer Lösung aus Bleizucker kochte und anschließend in eine weitere aus Kaliumchromat tauchte: Mir ging das Herz erst dann so richtig auf, als ich zum ersten Mal ein simples, aber recht nützliches Gift herstellte, indem ich die dicke Schicht Grünspan von dem kupfernen Schwimmer in einem unserer Toilettenspülkästen aus dem 19. Jahrhundert abkratzte.
Ich verneigte mich vor meinem Spiegelbild – und musste beim Anblick der fetten weißen »Schnecke im Schlafrock«, die sich vor mir verneigte, laut lachen.
Ich schlüpfte in meine Klamotten vom Vortag und streifte in letzter Sekunde noch eine ausgebeulte graue Strickjacke über, die ich aus der untersten Schublade von Vaters Kommode entwendet hatte. Diese unförmige Monstrosität, die mit ihren olivfarbenen und kastanienbraunen Rauten an eine verbrutzelte Klapperschlange erinnerte, hatte ihm seine Schwester, meine Tante Felicity, zum letzten Weihnachtsfest gestrickt.
»Sehr aufmerksam, Lissy«, hatte Vater gesagt und sich auf diese Weise um eine eindeutigere Lobpreisung des hässlichen Fetzens gedrückt. Als mir im August auffiel, dass er das Ding noch kein einziges Mal getragen hatte, betrachtete ich es als leichte Beute, und seitdem die kalte Witterung eingesetzt hatte, war es zu meinem Lieblingskleidungsstück avanciert.
Natürlich passte mir die Jacke nicht. Auch wenn ich die Ärmel aufkrempelte, sah ich darin aus wie ein zerzauster Affe beim Bananenpflücken. Andererseits ist, meiner Meinung nach und zumindest im Winter, die Wärme dicker Wolle dem Frieren in modischen Fähnchen jederzeit vorzuziehen.
Außerdem hatte ich mir angewöhnt, mir zu Weihnachten keine Anziehsachen zu wünschen. Warum dafür einen Wunsch verschwenden, wenn man todsicher sowieso etwas zum Anziehen geschenkt bekam?
Letztes Jahr hatte ich den Weihnachtsmann um einige dringend benötigte Laborgläser gebeten – ich hatte mir sogar die Mühe gemacht, eigens eine Liste der unterschiedlichen Kolben, Bechergläser und Reagenzgläser anzufertigen und unter mein Kopfkissen zu legen – und, siehe da –, der brave Kerl hatte tatsächlich alles besorgt!
Feely und Daffy glaubten nicht an den Weihnachtsmann, weshalb er ihnen bestimmt absichtlich so ausgesucht lausige Geschenke wie parfümierte Seife, Morgenmäntel und Pantoffeln brachte, die so aussahen und sich auch so anfühlten, als wären sie aus orientalischen Teppichen geschneidert.
Immer wieder hatten mich meine Schwestern belehrt, dass der Weihnachtsmann nur etwas für kleine Kinder sei.
»Er ist nur ein grausamer Spaß, den sich Eltern auf Kosten ihrer grässlichen Gören machen, damit sie sie mit Geschenken überhäufen können, ohne sich richtig mit ihnen befassen zu müssen«, hatte Daffy erst
Weitere Kostenlose Bücher