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Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
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er legte ein Buch drüber, schloss die Stalltür hinter sich und bewegte sich wieder zwischen seinen Engeln, seinem Brot, seinen Oliven und seinem Wein. So ging unser Leben in Pildau bald wieder den gewohnten Gang, zumindest für zwei von vier Bewohnern.
     
    Was damals eigentlich passiert war, erfuhr ich erst später, vielleicht eine Woche, vielleicht auch einen Monat, das kann ich nicht mehr genau sagen. Ich erfuhr es nicht aus der Gutenmorgengeschichte, sondern auf der Bank vor dem Haus, es war schon ein heller Abend, und tanzende Maifliegen stiegen am Weiher auf. »Ich werde diese Geschichte nur ein einziges Mal erzählen«, hatte Max Honigbrod in die Stille gesagt, von der ich dachte, sie würde eingehalten, weil das neue Kind im Zimmer über uns bei geöffneten Fenstern schlief. Anders war es in der ersten Zeit nicht zu beruhigen gewesen.
    »Ich werde sie nicht aufschreiben, sie wird wie alle erzählten Geschichten deswegen bald vergessen sein, und ich kann diesen Zeitpunkt ehrlich gesagt nicht erwarten.« Allein diese Eröffnung fand ich so bemerkenswert, dass ich mich kerzengerade auf der Bank neben dem Großvater aufsetzte und alles, Augen, Ohren und Nase, auf meinen Vater richtete, um keinen Deut dessen zu verpassen, was noch kommen mochte. Das Atmen hatte ich dafür aufgegeben, so aufgeregt war ich, und erst als der Großvater mich in die Seite stieß, machte ich damit weiter und betreibe es ohne rechte Überzeugung bis heute.
    »Wohlan, der Nebel war dicht, ihr erinnert euch, dichter, als ich gedacht hatte«, fing mein Vater an, und ich hörte an seiner Stimme, dass er entschlossen war, diese einmalige Rede zu genießen, es war eine seltene Gelegenheit. »Deswegen lief ich an diesem Abend nicht durch die Felder, sondern zur Straße hinüber und den geraden Weg an der Straße entlang bis zur Unterführung.« Ich versuchte mir meinen Vater vorzustellen, blauer Trainingsanzug und Kopflampe, die Straße, ich hatte Übung darin, Bilder zu seinen Geschichten zu erfinden, aber ich kannte weder einen geraden Weg an der Straße entlang noch eine Unterführung, was die Schilderung für mich rätselhaft machte. »Auf dem Rückweg blendeten mich die Autos, es waren fast nur Lastwagen, manche hupten, wohl weil sie mein Kopflicht sahen. Ich hörte das andere Geräusch, etwa eine Viertelmeile nachdem ich bei der Unterführung angeschlagen hatte, es klang wie …« Mein Vater dachte nach, es war selten, dass er nach Worten suchte. »Nein, es klang anders als alle Geräusche hier, ein Schlag auf etwas Stumpfes, eine große Geschwindigkeit an ihrem Ende. Ihr wisst, der Nebel verändert die Töne, deswegen konnte ich nicht sagen, ob es von weit oder nah oder überhaupt von meiner Seite der Straße kam. Ich wusste aber, dass es nicht zu den Geräuschen hier gehörte, und blieb stehen. In dieser Sekunde fing das Auto zu brennen an, es lag keine zehn Meter von mir entfernt. Der Nebel hatte den Aufprall gedämpft und war so dicht, dass ich ohne weiteres hineingelaufen wäre. Das Feuer und sein Widerschein im nassen Dunst waren gleich von bemerkenswerter Schönheit, es klingt etwas irr, aber im Vergleich zu den kalten Scheinwerferstrahlen war es angenehm lebendig und warm. Ich ging etwas näher heran und sah das Auto, es lag auf der Seite, hatte sich mindestens einmal überschlagen, die Flammen zogen so zwischen den Vorderreifen heraus.« Er machte eine Pause und zeigte mit der Hand ein paar der Flammen. »Einen bedauerlich schwachen Moment lang habe ich tatsächlich gedacht, es wäre leer, weil es so ruhig dalag und gebrannt hat, ohne dass jemand Einspruch erheben wollte, die Straße rauschte normal, die Böschung schirmte den Wagen ab, ich bin nicht sicher, ob er oben überhaupt zu sehen war. Es gab aber einen bestimmten Geruch, der mich schließlich wieder versicherte, dass Menschen da waren. Ich habe mich an die Türseite geschoben, die in den Himmel ragte, konnte nicht gut hineinsehen, der Türgriff gab nach, aber die Tür bewegte sich nicht, und ich hatte einen schlechten Hebelpunkt. In den Radkästen klemmten ausgerissene Grasnarben. Ich wollte durch die Frontscheibe, sagt man Frontscheibe?« Eine merkwürdige Stelle, um in der Erzählung innezuhalten, aber einen Schwenk über den Weiher, die Birken und die Hofstange im Abendhimmel lang ließ mein Vater diese neue Pause dauern, dann war er sich sicher, dass es Frontscheibe hieß. »Mit meiner kleinen Lampe habe ich ins Innere geleuchtet. Es war ein etwas ungewöhnliches

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