Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman
Auto mit sehr steiler Frontscheibe, fast wie bei einem Bus, aber doch viel kleiner. Es dauerte eine Weile, zu verstehen, warum ich nicht hineinsehen konnte, da war ein Körper, der sehr nah an, nein, eigentlich auf der Scheibe lag und die Sicht versperrte. Die Zeit war übrigens seit dem stumpfen Geräusch gedehnt, alles um mich herum geschah sehr langsam, weil ich es innerlich sehr schnell geschehen ließ. Ich wusste nicht, wo der Tank war bei diesem Auto, aber ich hatte Angst, er würde explodieren, und deswegen war es mir, als liefen ständig Uhren ab. Gleichzeitig sah ich wie mit einem Vergrößerungsglas viele Details. Da war zum Beispiel altes Laub unter der Motorhaube, vom letzten Herbst vielleicht, und Musik aus einem Auto auf der Straße, die ich sich nähern, spielen und wieder entfernen hörte. Ich wusste, der Weg hatte hier alle paar Meter Feldsteinhaufen, bin von der halben Haube geklettert und in gebückter Haltung den Wegrand entlang, die Hände knapp über dem Boden fühlend, um keinen Stein zu verpassen. Es dauerte lange. Als ich zum Wagen zurückkam, brannte bereits der ganze Unterboden. Ohne stehen zu bleiben, warf ich den Stein, die Scheibe zerplatzte wie ein Ballon voll Wasser, und der Körper rutschte zur Seite hinaus. Es waren ja zwei. Ich zerrte an ihnen, weg vom Auto, aber alles an diesen Leibern war wie neu zusammengesetzt, es lag möglicherweise an meiner Unkonzentriertheit, aber ich bekam kaum ein Teil gleich so zu fassen, dass es mir nicht im selben Moment wieder entglitt, wie in einem Traum konnte ich sie kaum halten, ohne selbst zu straucheln und wieder loslassen zu müssen. Sie waren warm und feucht, Blut, das ich nicht gesehen habe, weil ich die Stirnlampe verloren hatte. Als ich sie ein paar Meter vom Wagen in die Dunkelheit geschleppt hatte, lagen sie als verdrehte Haufen, ganz unsinnige Formen waren das. Erst dann, erst in der Erinnerung meiner Hände und bis heute, habe ich die Berührung nachgefühlt, spürte die Stoffe von ihren Körpern und die Körper selber und wusste, es war eine junge Frau dabei. Wo ich vorher auf der Haube gekauert hatte, waren Flammen, aber die Rückseite, die halb in der Böschung eingeklemmt lag, war erreichbar. Warum ich überhaupt noch mal zum Wagen gegangen bin, kann ich gar nicht sagen, tatsächlich, glaube ich, wollte ich nach dem Gepäck sehen, nun, einerlei, nicht wahr, im Schock sind wir alle undeutbar. Im Schein der Flammen sah ich die Kofferraumklappe halb aufgesprungen, es knirschte, als ich sie weiter aufdrückte, ich keilte mit meinem Knie die Öffnung so weit auf, dass ich in das wenige sehen konnte, was das Licht zuließ. Die wandernden Scheinwerfer der Lastwagen, ein rötlicher Widerschein, der vom Bremslicht aus der Böschung leuchtete, das war alles. Tüten und Taschen, die ich mit einer Hand zu greifen versuchte, dann ein Henkel und daran etwas Schweres, und da war sie. Ich bin so erschrocken, dass ich wieder losließ, aber in der gleichen Sekunde griff sie nach meinem Ärmel, riss mir die halbe Jacke herunter. Ich habe sie dann irgendwie aus der Luke bekommen, mich hinterher, es war so eng, das Erste, was ich draußen gesehen habe, war ein Stück Nachthimmel, der über dem Wrack aufgerissen war, vielleicht wegen der Brandhitze, wer weiß das schon, dazu gibt es bestimmt keine Untersuchungen, Einfluss von Brandobjekten auf Bodennebel, wer weiß das schon.« Er verlor sich in einer Reihe aus Werweißdasschon- und Kanngutsein-Sätzen ohne direkten Zusammenhang. Als Letztes sagte er: »Als wir an der Aussicht waren, war unten alles Feuer, nicht nur am Auto, auch rundherum. Falls ich im Laufe dieser Geschichte die Tempi gewechselt haben sollte, bitte ich das mit Rücksicht auf den beträchtlichen Grad meiner persönlichen Geworfenheit in diese Sache zu entschuldigen. Ich danke Ihnen.« Dann war es still, die Maifliegen waren nicht mehr zu sehen, und die Hofstange war nur noch ein vager Pfeiler in der Dunkelheit. Ich hatte mir jedes Wort gemerkt und wusste, dass ich jedes einzelne so lange behalten musste, bis ich die Geschichte in mein Tagebuch schreiben konnte.
»Was für ein Auto?«, fragte der Großvater nach einer ganzen Weile. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass er die Rede schon kannte.
»Lada Niva.«
»Eh«, machte der Großvater, dachte eine Weile nach, suchte wahrscheinlich die Baupläne. »Keine große Maschine, aber mit Charakter, durchaus.« Er zögerte kurz. »Wir sollten sie also Lada nennen. Bis auf
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