Vorsatz und Begierde (German Edition)
Gemütszustand gab es weder von mir noch von anderen einen Beweis. Man könnte sagen, es war eine rein wissenschaftlich geführte Untersuchung. Sie hielt sich an die Tatsachen.«
»Und wo, glauben Sie, hat er die Nacht vor seinem Tod verbracht?« fragte Oliphant ruhig.
»Bei ihr.«
»Aufgrund welcher Beweise sagen Sie das?«
»Keiner Beweise, die vor Gericht standhalten würden. Nur daß ich ihn zwischen 9 Uhr und Mitternacht dreimal angerufen habe und er sich nicht gemeldet hat.«
»Und das haben Sie weder der Polizei noch dem Coroner mitgeteilt?«
»Im Gegenteil. Ich wurde gefragt, wann ich ihn zuletzt gesehen hätte. Das war am Tag vor seinem Tod in der Kantine. Ich erwähnte auch meinen Anruf, aber den hielt niemand für relevant. Warum sollten sie auch? Was bewies er schon? Er konnte spazierengegangen sein. Er konnte beschlossen haben, das Telephon klingeln zu lassen. An der Art, wie er gestorben war, gab es keinen Zweifel. Und nun möchte ich, wenn Sie nichts dagegen haben, endlich hier raus und mit dem Reinigen dieses verdammten Motors weitermachen.«
Schweigend kehrten sie zum Wagen zurück. »Arroganter Kerl, nicht wahr?« bemerkte Rikkards auf einmal. »Hat seinen Standpunkt kristallklar dargelegt. Sinnlos, der Polizei irgend etwas erklären zu wollen. Warum, das kann er nicht sagen, ohne beleidigend zu sein. Kann ich mir vorstellen. Wir sind zu beschränkt, zu ignorant und unsensibel, um zu begreifen, daß ein Wissenschaftler in der Forschung nicht unbedingt ein phantasieloser Technokrat sein muß, daß man den Tod einer Frau bedauern kann, ohne sich unbedingt zu wünschen, daß sie wieder am Leben wäre, und daß ein sexuell attraktiver junger Mann tatsächlich bereit sein könnte, mit beiden Geschlechtern ins Bett zu gehen.«
»Er hätte den Mord verüben können, wenn er den Motor voll aufgedreht hätte«, sinnierte Oliphant. »Er hätte nur nördlich ihres Badeplatzes an Land kommen und sich an die Tidelinie halten müssen, sonst hätten wir seine Fußspuren gesehen. Wir haben Mr. Dalglieshs Spuren identifiziert, davon abgesehen aber war der Strand unberührt.«
»O ja, dann wäre er noch ziemlich weit vom Tatort entfernt gewesen. Aber er hätte das Schlauchboot problemlos auf dem Kies landen können. Es gibt Strandabschnitte, die fast nur aus Steinen bestehen oder nur schmale Sandstreifen haben, über die er hätte hinwegspringen können.«
»Was ist denn mit den alten Verteidigungsanlagen am Strand, diesen Betonbrocken? Es wäre schwierig, irgendwo nördlich in leicht erreichbarer Entfernung bis in die Nähe der Küste zu kommen, ohne dabei ein Leckschlagen des Bootes zu riskieren.«
»Er hat es doch kürzlich sowieso schon einmal riskiert, nicht wahr? Schließlich ist da dieser Kratzer am Bug. Und er kann nicht beweisen, daß er ihn sich an den Kühltürmen geholt hat. Außerdem hat er reichlich cool reagiert, finden Sie nicht? In aller Ruhe zugegeben, daß er den Kratzer repariert gehabt hätte, wenn wir eine Stunde später gekommen wären. Nicht, daß ihm das viel geholfen hätte; der Beweis wäre immer noch dagewesen. Na schön, also manövriert er sein Boot so dicht wie möglich an die Küste ran, sagen wir, hundert Meter nördlich der Stelle, an der sie gefunden wurde, marschiert über den Kies bis unter die Bäume und wartet lautlos dort im Schatten. Oder er hat sein Klappfahrrad ins Schlauchboot geladen und landet in etwas sicherer Entfernung. Am Strand entlang konnte er bei Flut nicht fahren, aber auf der Küstenstraße wäre er ziemlich sicher gewesen, wenn er ohne Licht gefahren wäre. Er kehrt zum Boot zurück und ankert wieder in Blakeney, indem er gerade noch die Flut erwischt. Keine Probleme mit dem Messer oder den Schuhen, die wirft er einfach über Bord. Wir werden das Boot untersuchen lassen – mit seiner Einwilligung natürlich –, und ich werde veranlassen, daß ein einzelner Segler diesen Törn fährt. Falls wir unter unseren Jungens einen erfahrenen Segler haben, nehmen wir den. Falls nicht, nehmen wir einen Einheimischen und begleiten ihn. Wir müssen die Zeit bis auf die Minute genau stoppen. Und wir sollten uns bei den Krabbenfischern unten bei Cromer erkundigen. Manche von denen könnten bei Nacht rausgefahren sein und sein Boot gesehen haben.«
»Sehr zuvorkommend von ihm, Sir, uns sein Motiv auf dem Präsentierteller zu servieren«, bemerkte Oliphant.
»So zuvorkommend, daß ich mich unwillkürlich frage, ob es nicht eine Nebelwand ist, hinter der er
Weitere Kostenlose Bücher