Vorsatz und Begierde (German Edition)
wie Sie nur können. Deswegen ist es mir weit lieber, wenn Sie von mir die Tatsachen zu hören kriegen als Gerüchte von anderen Leuten.«
»Dann hatten Sie also kein sexuelles Verhältnis?« Plötzlich wurde die Luft von wildem Kreischen zerrissen, und weiße Flügel klatschten gegen das Bullauge. Draußen schien jemand die Möwen zu füttern.
Lessingham fuhr auf, als sei das ein unbekanntes Geräusch für ihn. Dann sank er auf seinen Platz zurück und sagte eher müde als ärgerlich: »Was, zum Teufel, hat das alles mit dem Mord an Hilary Robarts zu tun?«
»Möglicherweise nichts, und dann werden Ihre Informationen auch vertraulich bleiben. In diesem Stadium ist es jedoch ausschließlich meine Entscheidung, ob etwas für diesen Fall wichtig ist oder nicht.«
»Wir haben zwei Wochen vor seinem Tod eine Nacht zusammen verbracht. Wie schon gesagt, er war sehr warmherzig. Das war das erste und auch das letzte Mal.«
»Ist das allgemein bekannt?«
»Wir haben es nicht über den Ortssender hinausposaunt oder im Lokalblättchen annonciert oder eine Notiz in der Werkskantine ausgehängt. Natürlich war es nicht allgemein bekannt. Warum, zum Teufel, sollte es auch?«
»Würde es eine Rolle spielen, wenn es bekannt gewesen wäre? Hätte es einen von Ihnen gekümmert?«
»O ja, das hätte es! Uns beide. Mich hätte es genauso gekümmert wie Sie, wenn man in der Öffentlichkeit über Ihr Sexualleben grinsen würde. Selbstverständlich hätte es uns gekümmert. Nach seinem Tod hat es mich selbst schließlich nicht mehr gekümmert. Denn eines spricht tatsächlich für den Tod eines Freundes: Er befreit von vielem, das man für unendlich wichtig hielt.«
Befreit – wofür? dachte Rikkards. Für einen Mord, diesen ikonoklastischen Akt des Protestes und des Trotzes, diesen einen Schritt über eine unmarkierte, unverteidigte Grenze hinweg, der den Menschen, sobald er getan ist, auf ewig vom Rest der Menschheit trennt? Doch er beschloß, die auf der Hand liegende Frage aufzuschieben.
Statt dessen erkundigte er sich: »Was für eine Familie hatte er?« Die Frage klang so harmlos und banal, als sprächen sie beiläufig über einen gemeinsamen Bekannten.
»Er hatte einen Vater und eine Mutter. So eine Familie. Was für eine gibt es denn sonst?«
Aber Rikkards hatte sich zur Geduld entschlossen. Das fiel ihm nicht leicht, doch er erkannte Schmerz, wenn dessen Zeichen – zum Zerreißen gespannte, nackte Sehnen – so dicht unter der Gesichtshaut lagen. Freundlich korrigierte er: »Ich meine, was für ein Elternhaus hatte er? Gab es Geschwister?«
»Sein Vater ist Landpastor. Seine Mutter ist die Frau eines Landpastors. Er war das einzige Kind. Sein Tod hat die beiden fast umgebracht. Wenn es uns möglich gewesen wäre, ihn als Unfall zu tarnen, hätten wir es getan. Wenn es geholfen hätte zu lügen, hätte ich gelogen. Warum, zum Teufel, ist er nicht ins Wasser gegangen? Dann hätte es wenigstens Raum für Zweifel gegeben. Haben Sie das mit Elternhaus gemeint?«
»Es hilft mir, das Bild zu vervollständigen.« Rikkards hielt inne, um gleich darauf, fast beiläufig, die entscheidende Frage zu stellen: »Hat Hilary Robarts gewußt, daß Sie eine Nacht mit Toby Gledhill verbracht haben?«
»Was für ein Zusammenhang könnte …? Also gut, es ist Ihre Aufgabe, im Dreck zu wühlen. Ich kenne das System. Sie zerren alles ans Licht, was Sie mit Ihrem ausgeworfenen Netz einfangen, und werfen weg, was Sie nicht gebrauchen können. Dabei erfahren Sie eine Menge Geheimnisse, die zu kennen Sie nicht unbedingt das Recht haben, und verursachen viel Schmerz. Macht Ihnen das Spaß? Besorgen Sie sich so Ihren Nervenkitzel?«
»Beantworten Sie einfach meine Frage, Sir.«
»Ja, Hilary wußte davon. Sie erfuhr es durch einen von jenen Zufällen, die eine Chance von eins zu einer Million zu haben scheinen, die aber im wirklichen Leben gar nicht so bemerkenswert oder außergewöhnlich sind. Sie fuhr an meinem Haus vorbei, als Toby und ich es am Morgen kurz nach halb 8 Uhr verließen. Anscheinend hatte sie einen Tag Urlaub genommen und war früh losgefahren, weil sie irgendwohin wollte. Wohin, brauchen Sie mich nicht zu fragen, ich weiß es nicht. Vermutlich aber hat sie, genau wie andere Leute auch, ein paar Freunde, die sie von Zeit zu Zeit besucht. Ich meine, irgend jemand muß sie doch gemocht haben.«
»Hat Sie jemals über diese Begegnung gesprochen – mit Ihnen oder einem anderen, den Sie kennen?«
»Sie hat sie nicht
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