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Vorsatz und Begierde (German Edition)

Vorsatz und Begierde (German Edition)

Titel: Vorsatz und Begierde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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weißlichen, am Ende aufgerollten Blutgefäßen und der aufgerissene Mund darüber schienen gegen die Störung der herkömmlichen Ordnung protestieren zu wollen. Schnittwunden, die er sich versuchsweise hätte zufügen können, waren nicht zu sehen. Die Tat, durch die der Whistler den zerstörerischen Trieb in seinem Wesen auslöschte, hatte mehr Kraft erfordert, dachte Dalgliesh, als man es der zierlichen Hand mit den gekrümmten Fingern, die blutüberkrustet auf dem Bettuch ruhte, zugetraut hätte. Daneben lag ein Messer mit einer gut fünfzehn Zentimeter langen, blutbefleckten Klinge. Aus irgendeinem Grund hatte sich der Mann vor dem Sterben entkleidet. Er trug nur noch ein Unterhemd, eine Unterhose und blaue Nylonsocken, die aussahen, als hätte die Verwesung bereits eingesetzt. Auf dem Stuhl neben dem Bett lag ordentlich arrangiert ein dunkelgrau gestreifter Anzug, über der Lehne hingen ein blaugestreiftes bügelfreies Hemd und eine Krawatte. Unter dem Bett standen, akkurat ausgerichtet, ein Paar zwar getragene, aber blitzblank geputzte Schuhe. Sie waren klein und hätten einem Mädchen passen können.
    »Sein Name ist Neville Potter«, erklärte Rikkards. »Sechs- unddreißig Jahre alt. Im Grund ein armseliger Wicht. Man könnte denken, daß er nicht mal soviel Kraft gehabt hätte, ein Huhn zu erwürgen. Anscheinend wollte er sich wohl im Sonntagsstaat seinem Schöpfer stellen, aber dann muß ihm eingefallen sein, daß seine Mama es nicht gern gesehen hätte, wenn er seinen besten Anzug mit Blut besudelt. Sie sollten seine Mama mal kennenlernen, Mr. Dalgliesh! Überaus aufschlußreich. Ihre Art erklärt manches. Aber er hat sämtliche Beweisstücke hinterlassen und für uns bereitgelegt. Scheint ein penibler Mensch gewesen zu sein.«
    Dalgliesh ging vorsichtig um das Bettende herum und achtete darauf, nicht in die Blutlache zu treten. Auf der Kommode waren das Mordwerkzeug und die Trophäen des Whistlers ausgebreitet: eine ordentlich zusammengerollte lederne Hundeleine, eine blonde Perücke, ein blaues Barett, ein Klappmesser und eine Lampe, die samt Batterie an einem metallenen Kopfreif befestigt war. Daneben lagen blonde, dunkelbraune und rötliche Haarbüschel aufgehäuft. Vor diesem Arrangement lag ein aus einem Notizbuch herausgerissener Zettel, auf dem in kindlicher Druckschrift die Worte standen: »Es wurde immer schlimmer. Nur auf diese Weise kann ich damit Schluß machen. Sorgt bitte für Pongo.« Das »Bitte« war unterstrichen.
    »Sein Hund. Pongo – was für ein Name!« sagte Rikkards.
    »Wie hätte er Ihrer Ansicht nach heißen sollen? Zerberus?« Rikkards öffnete die Zimmertür und blieb schwer atmend im Türrahmen stehen, als müßte er frische Luft schnappen.
    »Er hauste mit seiner Mutter auf einem der Wohnwagenplätze außerhalb von Cromer«, berichtete er. »Und das schon seit zwölf Jahren. Er war Gelegenheitsarbeiter, führte Reparaturen aus, bewachte nachts das Gelände, kümmerte sich um anfallende Beschwerden. Sein Chef besitzt noch einen Wohnwagenpark bei Yarmouth. Bisweilen löste Potter den dortigen Nachtwächter ab. Er war ein Einzelgänger. Er besaß nur einen kleinen Lieferwagen und den Hund. Vor ein paar Jahren heiratete er eine junge Frau, die er auf dem Gelände kennengelernt hatte. Aber die Ehe hielt nur vier Monate. Sie hat ihn verlassen. Vielleicht wurde sie von seiner Mama vertrieben oder von dem Mief im Wohnwagen. Es ist ohnehin ein Wunder, daß sie es vier Monate ausgehalten hat.«
    »Er gehörte doch sicherlich zu den verdächtigen Personen. Sie müssen ihn überprüft haben.«
    »Seine Mutter hat ihm für zwei der Morde ein Alibi gegeben. Entweder war sie da schon so betrunken, daß sie nicht mehr wußte, ob er zu Hause gewesen war, oder sie deckte ihn. Möglich ist auch, daß ihr das eine wie das andere völlig schnuppe war.« Auf einmal klang Rikkards’ Stimme erregt: »Wir müßten doch mittlerweile gelernt haben, wie solche Alibis zu bewerten sind. Ich werde mir die Beamten vorknöpfen, die die Vernehmungen durchgeführt haben. Aber Sie wissen ja selbst, wie so was gemacht wird. Man führt Tausende von Vernehmungen und Überprüfungen durch und füttert damit den Computer. Ich würde ein Dutzend Computer für einen Fahnder hergeben, der merkt, wann der Befragte ihn anlügt. Herrgott noch mal, haben wir denn aus dem Fiasko mit dem Yorkshire-Ripper nichts gelernt?«
    »Haben Ihre Leute denn seinen Lieferwagen nicht durchsucht?«
    »Doch, das schon. Soviel

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