Der Augenblick der Liebe
Martin Walser
Der
Augenblick der
Liebe
Roman
Rowohlt
Umschlaggestaltung: any.way,
Barbara Hanke/Cordula Schmidt
Umschlagzeichnung: Alissa Walser
1. Auflage Juli 2004
Copyright © 2004 by Rowohlt Verlag GmbH,
ISBN 3 498 07355 2
Gottlieb Zürn, bekannt aus Martin Walsers Romanen «Das
Schwanenhaus» und «Die Jagd», Exmakler, Privatgelehrter mit Domizil am Bodensee, erhält Besuch von einer jungen Doktorandin. Sie interessiert sich für seine Aufsätze über den franzö‐
sischen Philosophen La Mettrie und überreicht ihm, er ist erstaunt und merkwürdig geschmeichelt, eine Sonnenblume. Er vernimmt sofort das Klirren erotischer Möglichkeiten. Sie, sphinxenhaft: «Es gibt nichts, wofür man nicht gestraft werden kann.»
Trotzdem, und weil er mit seiner Frau Anna längst im selben Wortschatz untergeht, folgt er der Doktorandin kurz darauf nach
Kalifornien zu einem Kongreß über La Mettrie.
Dort erfüllt sich ihre Prophezeiung — auf eine Weise, die gleich in mehrfacher Hinsicht zum Eklat führt. Sobald er drüben ist, wird in ihm Anna übermächtig, also zurück zu ihr. Sobald er zurück ist, muß er wieder hinüber. Aber das gestattet ihm das Buch nicht.
Eros, Ehe und Erlebnishunger sind die äußeren Markierungs-punkte dieses Romans, das Verhältnis von Leben, Literatur und Todeslust ist sein geheimes Motiv.
Martin Walser, geboren 1927 in Wasserburg, lebt in Überlingen am Bodensee. Er erhielt für sein literarisches Werk zahlreiche Preise, darunter 1981 den Georg-Büchner‐Preis und 1998 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Außerdem wurde er mit dem Orden «Pour le Merite» ausgezeichnet und zum
«Officier de lʹOrdre des Arts et des Lettres» ernannt.
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Martin Walser Der
Roman Augenblick der
Liebe
Rowohlt
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1. Auflage Juli 2004
Copyright © 2004 by Rowohlt Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg
Alle Rechte vorbehalten
Satz aus der Stempel Garamond PostScript PageMaker bei
Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
Druck und Bindung Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
ISBN 3 498 07355 2
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I. Kommen aber gehen
II. Zusammenfinden
III. Auseinanderkommen
IV. Kehre
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I.
Kommen aber gehen
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I.
Herr Zürn oder Herr Krall, wie hätten Sieʹs gern? So fing sie
an, so eröffnete sie.
Gottlieb sagte: In welche Sauce wir den Daumen, den wir lutschen müssen, vorher tunken, ist egal. Oder nicht? Und sie: Es gibt nichts, wofür man nicht gestraft werden kann.
Und er: Aber die Möglichkeiten klirren. Und sie: Wenn Sie so
wollen. Und er: Ich will. Gottlieb hatte das Gefühl, er sei begeistert. Wenn das Leben auf sich aufmerksam machte,
fühlte er sich als Dichter, sogar als Komponist. Er war weder
das eine noch das andere. Er war mit der Besucherin in ein Duett geraten. Sie hätten ihre Sätze gleichzeitig sagen
können, das hätte die Wirkung nicht gemindert.
Anna blieb nichts anderes übrig, als zwischen der Besu‐
cherin und Gottlieb hin und her zu schauen wie beim Tennis.
Also schaute sie, nach Gottliebs Ich will, die Besucherin an, weil die jetzt dran war. Aber die wollte oder konnte offenbar
nicht weitermachen im Duett.
Dann starrten alle drei auf die Sonnenblume, die die Besucherin mitgebracht hatte, für die Gottlieb keine Vase gefunden hatte, die er dann in den größten Glaskrug gestellt und mitten auf dem Terrassentisch platziert hatte. Noch nie
hatte jemand eine Sonnenblume mitgebracht. Anna hatte die
gewaltige Blume entgegengenommen und hatte gesagt:
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Unglaublich. Und das stimmte ganz genau. So eine Pracht‐
blume zu überreichen, die sofort die Szene beherrscht, und nichts dazu zu sagen, das war unglaublich. Das war eigentlich die Eröffnung des Duetts gewesen.
Anna schaute die Besucherin an, als müsse die ihr noch
erklären, wie es überhaupt zu dieser Frage, ob Zürn oder Krall, komme. Gottlieb wußte, daß Anna, hätte sie sich
äußern können, jetzt gleich noch einmal ihr Lieblingswort, ihr Passepartoutwort, gesagt hätte: Unglaublich. Das
brauchte sie so oft, daß es auf Gottlieb überging. Und wenn
es ihm unwillkürlich unterkam, merkte er, daß er wieder
Annas Wort benutzte. Sollten Ehepaare einander im Lauf der
Zeit ähnlicher werden − was er bei sich und Anna bestritt −,
dann dürfen sie auch im selben Wortschatz untergehen.
Hätte die Besucherin ihre Eröffnungsfrage eine Stunde später
gestellt, nachdem Anna ihren Kaffee und die drei oder vier Gläschen Calvados schon getrunken gehabt hätte,
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