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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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das Tor geschlossen hatte, ging er zu dem Mann hinüber und blickte auf zwei klare, intelligente Augen in einem wettergegerbten, hageren Gesicht hinab. Wenn dieser Mann wirklich ein Landstreicher war, machten die Wachheit dieses ersten Blicks, die ruhige Selbstsicherheit und seine sauber gepflegten, zierlichen Hände ihn zu einem sehr ungewöhnlichen Stromer. Allerdings war er zu schwer bepackt, um ein zufälliger Anhalter zu sein. Sein Khakimantel sah nach Army aus und wurde von einem breiten Ledergürtel gehalten, an dem an Bindfäden ein Emailbecher, ein kleiner Kochtopf und eine Bratpfanne hingen. Auf dem Hang neben ihm lag ein kleiner, aber vollgepackter Rucksack.
    »Guten Morgen«, grüßte Dalgliesh. »Verzeihen Sie, wenn ich aufdringlich wirke, aber woher haben Sie diese Schuhe?«
    Die Stimme, die ihm antwortete, klang gebildet und ein bißchen pedantisch. Es war eine Stimme, fand er, die zu einem ehemaligen Lehrer paßte.
    »Ich hoffe, Sie gedenken sie nicht als Ihr Eigentum zu reklamieren. Es wäre bedauerlich, wenn unsere Bekanntschaft, obwohl zweifellos zu Kurzlebigkeit bestimmt, mit einem Disput über Eigentumsrecht beginnen sollte.«
    »Nein, nein, die Schuhe gehören mir nicht. Ich wollte nur wissen, seit wann sie sich in Ihrem Besitz befinden.«
    Der Mann aß seinen Apfel zu Ende. Das Kerngehäuse warf er über die Schulter in den Graben, säuberte die Klinge seines Taschenmessers im Gras und schob es sich mit großer Sorgfalt tief in die Tasche.
    »Dürfte ich mich erkundigen, ob diese Frage einer – verzeihen Sie – übertriebenen und verwerflichen Neugier entspringt, dem unnatürlichen Argwohn eines Mitmenschen oder dem Wunsch, sich selbst ein ebensolches Paar zu besorgen? Im letzteren Falle fürchte ich, daß ich Ihnen nicht helfen kann.«
    »Nichts dergleichen. Aber die Frage ist von größter Bedeutung. Ich bin weder anmaßend noch argwöhnisch.«
    »Aber Sie drücken sich auch nicht besonders klar und deutlich aus, Sir. Übrigens, mein Name ist Jonah.«
    »Und ich heiße Adam Dalgliesh.«
    »Dann, Adam Dalgliesh, nennen Sie mir einen stichhaltigen Grund, warum ich Ihre Frage beantworten soll, und Sie werden Ihre Antwort erhalten.«
    Dalgliesh schwieg einen Moment. Theoretisch, nahm er an, bestand die Möglichkeit, daß er es hier mit dem Mörder von Hilary Robarts zu tun hatte, aber er glaubte keine Sekunde daran. Rikkards hatte ihn am Abend zuvor angerufen und informiert, daß sich die Bumbles nicht mehr in der Trödelkiste befanden; anscheinend hatte er das Gefühl, Dalgliesh diesen kurzen Bericht schuldig zu sein. Doch das bedeutete weder, daß der Landstreicher sie sich angeeignet hatte, noch, daß die beiden Paare identisch waren. »Am Sonntag abend wurde hier am Strand eine junge Frau erdrosselt«, sagte er.
    »Falls Sie diese Schuhe vor kurzem erst gefunden oder erhalten oder sie am vergangenen Sonntag auf der Landzunge getragen haben, muß die Polizei davon erfahren. Man hat einen deutlichen Schuhabdruck gefunden. Deswegen muß man sie identifizieren, und sei es nur, um den Besitzer von den Ermittlungen ausschließen zu können.«
    »Nun, das ist wenigstens präzise. Sie reden wie ein Polizist. Es sollte mir leid tun, wenn Sie tatsächlich einer wären.«
    »Dies ist nicht mein Fall. Aber ich bin tatsächlich Polizist und weiß, daß die Ortspolizei nach einem Paar Bumble-Sportschuhen fahndet.«
    »Und das hier, nehme ich an, sind Bumble-Sportschuhe. Ich hatte sie für ganz normale Schuhe gehalten.«
    »Das Markenzeichen befindet sich unter der Zunge. Das ist der Verkaufstrick dieser Firma. Man soll die Bumbles ohne marktschreierische Plazierung des Namens erkennen. Doch wenn es sich hier wirklich um Bumbles handelt, haben sie unter jedem Absatz eine gelbe Hummel.«
    Jonah antwortete nicht, sondern hob mit einer unerwarteten, schwungvollen Bewegung beide Beine in die Luft, hielt sie einen Augenblick oben und ließ sie dann wieder sinken. Sekundenlang sagte keiner von beiden ein Wort; dann erkundigte sich Jonah: »Wollen Sie behaupten, daß ich die Schuhe eines Mörders an den Füßen trage?«
    »Möglicherweise, aber nur möglicherweise sind dies die Schuhe, die er trug, als die junge Frau getötet wurde. Begreifen Sie jetzt, wie wichtig sie sind?«
    »Das wird mir ganz zweifellos sehr deutlich vor Augen geführt werden – von Ihnen oder einem anderen Ihrer Sorte.«
    »Haben Sie schon mal vom Norfolk Whistler gehört?«
    »Ist das ein Vogel?«
    »Ein Massenmörder.«
    »Und das

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