Vorsatz und Begierde
Cottage zurück. Inzwischen haßte er das Haus, haßte, was es ihm angetan und was es ihn zu tun gezwungen hatte. Genau wie er selbst war es verflucht. Mrs. Jago, die an der Tür stand, hielt Anthony unbeholfen in den Armen, während die Zwillinge stumm an ihrer Seite standen. Er hatte im Local Hero angerufen und um Hilfe gebeten, und George Jago hatte seine Frau sofort herübergefahren, damit sie bei den Kindern blieb, bis Blaney nach Hause zurückkehren konnte. Es hatte sonst niemanden gegeben, den er hätte fragen können. Zwar hatte er Alice Mair im Martyr’s Cottage zu erreichen versucht, doch dort meldete sich nur der Anrufbeantworter. Mrs. Jago hob Anthonys Hand und winkte ihm damit zum Abschied zu; dann beugte sie sich nieder und sprach mit den Zwillingen. Gehorsam winkten auch sie. Dann stieg Blaney in den Krankenwagen, und die Türen wurden geschlossen.
Holpernd und schlingernd fuhr die Ambulanz den Feldweg entlang, um sofort zu beschleunigen, als sie die schmale Landzungenstraße nach Lydsett erreichte. Auf einmal wurde das Steuer so scharf herumgerissen, daß er beinah von seinem Sitz flog. Der Sanitäter, der ihm gegenübersaß, fluchte verärgert.
»Irgend so ’n verdammter Raser!«
Aber Blaney antwortete nicht. Er saß, ihre Hand noch in der seinen, ganz dicht neben Theresa und betete, flehte denselben Gott an, an den er nicht mehr geglaubt hatte, seit er siebzehn war. »Laß sie nicht sterben! Bestrafe sie nicht meinetwegen! Ich werde an dich glauben. Alles werde ich für dich tun. Ich werde mich ändern, werde mich bessern. Bestrafe mich, aber nicht sie! O Gott – bitte, laß sie leben!«
Und plötzlich stand er wieder auf diesem schrecklichen kleinen Kirchhof und hörte die monotone, dröhnende Stimme von Pfarrer McKee, während Theresa neben ihm stand und ihre eiskalte Hand in der seinen lag. Der Erdaushub war von einer synthetischen Grasmatte bedeckt, aber ein Haufen war frei geblieben, und er sah das frisch gestochene Goldbraun der Scholle. Er hatte nicht gewußt, daß die Erde von Norfolk eine so wunderschöne Farbe besaß. Eine weiße Blüte war aus einem der Kränze gefallen, eine winzige, gemarterte Knospe mit einer Nadel im umwickelten Stengel, und fast hatte er dem Impuls nicht widerstehen können, sie aufzuheben, bevor sie mit der Erde ins Grab geschaufelt wurde, sie nach Hause mitzunehmen, in eine Vase mit Wasser zu stellen und in Frieden sterben zu lassen. Er mußte sich sehr zusammenreißen, um sich nicht zu bücken und sie aufzuheben. Aber er hatte es nicht gewagt, und so war sie von den ersten Erdschollen erstickt und vernichtet worden.
Er hörte, daß Theresa etwas flüsterte. Als er sich zu ihr hinabbeugte, roch er ihren Atem. »Muß ich jetzt sterben, Daddy?«
»Aber nein! Nein!«
Fast hätte er es laut herausgeschrien, dem Tod ein trotziges Brüllen entgegengeschleudert, und merkte schon, daß sich der Sanitäter erheben wollte. Statt dessen sagte er beruhigend: »Du hast doch gehört, was Dr. Entwhistle gesagt hat. Es ist nur eine Blinddarmentzündung.«
»Ich möchte mit Pfarrer McKee sprechen.«
»Morgen. Nach der Operation. Ich werd’s ihm ausrichten, und er wird dich besuchen kommen. Ich werde es bestimmt nicht vergessen. Ehrenwort. Und jetzt lieg still.«
»Ich will ihn aber jetzt sprechen, Daddy, vor der Operation! Ich muß ihm unbedingt was sagen.«
»Sag’s ihm morgen.«
»Kann ich’s dir sagen? Irgend jemand muß ich’s sagen.«
Beinah wütend antwortete er: »Morgen, Theresa. Es hat Zeit bis morgen!« Doch dann flüsterte er, über den eigenen Egoismus erschrocken: »Sag’s mir, Liebling, wenn’s unbedingt sein muß.« Und er schloß die Augen, damit sie darin nicht seine Angst, seine Hoffnungslosigkeit lesen konnte.
»An dem Abend, an dem Miss Robarts starb«, flüsterte sie, »da hab ich mich zu den Abteiruinen rausgeschlichen. Ich hab gesehen, wie sie ins Meer gelaufen ist. Ich war da, Daddy!«
»Das ist völlig unwichtig«, antwortete er heiser. »Du brauchst mir nichts weiter zu sagen.«
»Aber ich will es sagen! Ich hätte es dir schon längst sagen sollen. Bitte, Daddy!«
Er legte seine Hand über die ihre. »Sag’s mir.«
»Da war noch jemand. Ich hab gesehen, wie sie über die Landzunge zum Meer runterging. Es war Mrs. Dennison.« Erleichterung wogte in ihm auf, Welle um Welle, wie ein laues, reinigendes Sommermeer. Nach einem kurzen Schweigen hörte er abermals ihre Stimme: »Wirst du’s irgend jemandem sagen, Daddy? Der
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