Vorsatz und Begierde
Wochenende nicht kam, herrschte dann folglich in der Familie eine gereizte Stimmung. Es war schon ein sonderbares Arrangement. Und Mrs. Watson war auch ein sonderbarer Mensch. Obwohl sie eine gute Köchin war, war sie stets schlecht gelaunt. Und uns Kinder duldete sie schon gar nicht in ihrer Küche. Ich begann mich fürs Kochen zu interessieren, als ich ein Semester in Frankreich verbrachte, denn ich wollte mein Studium in London mit einem Fremdsprachendiplom abschließen. Da fing es an. Ich hatte etwas gefunden, worauf ich mich konzentrieren konnte. Ich mußte ja nicht unbedingt Lehrerin, Übersetzerin oder die überqualifizierte Sekretärin irgendeines Mannes werden.«
Meg Dennison erwiderte darauf nichts, Alice hatte bisher nur einmal von ihrer Familie, von ihrer Vergangenheit gesprochen, und Meg fürchtete, wenn sie jetzt Fragen stellte oder ihre Ansichten äußerte, könnte ihre Freundin bedauern, daß sie sich zu solcher Vertraulichkeit hatte hinreißen lassen. Meg lehnte sich genüßlich zurück und sah Alice zu, die mit ihren geschickten, langgliedrigen Händen, die ihr mittlerweile so vertraut waren, am Tisch hantierte. Auf dem Tisch standen eine flache blaue Schale mit acht Eiern und zwei Teller, einer mit einem großen Stück Butter und der andere mit vier Zitronen. Sie rieb eine Zitrone mit einem Zuckerstück ab, das in feuchte Kristalle zerfiel und in einer Schüssel aufgefangen wurde. Danach nahm sie ein weiteres Zuckerstück, das sie auf die gleiche Weise zerbröselte.
»Das ergibt etwa zwei Pfund Creme«, meinte sie. »Ich kann dir ein Glas für die Copleys mitgeben, wenn du denkst, daß sie’s mögen.«
»Sie mögen so etwas sicherlich, aber ich muß mir die Creme wohl allein schmecken lassen. Deswegen bin ich auch gekommen, und ich kann auch nicht lange bleiben. Ihre Tochter besteht nämlich darauf, daß sie zu ihr ziehen, bis man den Whistler dingfest gemacht hat. Sie hat von dem neuesten Mord gehört und heute früh angerufen.«
»Jetzt treibt sich der Whistler auch bei uns herum«, erwiderte Alice. »Aber ich glaube nicht, daß die Copleys in Gefahr sind. Er ist nur nachts unterwegs. Außerdem sind seine Opfer bisher junge Frauen gewesen. Und die Copleys verlassen doch das Haus nicht mehr. Höchstens, wenn du sie mal im Wagen mitnimmst.«
»Manchmal gehen sie am Meer spazieren, aber ansonsten verschaffen sie sich höchstens im Garten etwas Bewegung. Ich habe versucht, Rosemary Duncan-Smith zu überzeugen, daß ihnen hier nichts geschehen kann, daß keiner von uns Angst hat. Aber ihre Freunde machen ihr wahrscheinlich Vorwürfe, weil sie ihre Eltern nicht in Sicherheit bringt.«
»Ich verstehe. Sie möchte sie eigentlich nicht haben, und sie wollen auch nicht fort von hier. Aber die sogenannten guten Freunde müssen zufriedengestellt werden.«
»Ihre Tochter ist eine von diesen selbstbewußten, zielstrebigen Frauen, die Kritik nicht ertragen können. Aber man muß fair sein. Ich glaube, daß sie ernstlich besorgt ist.«
»Wann fahren sie?«
»Am Sonntag abend. Ich bringe sie nach Norwich zum Zug um 20 Uhr 30. Um 22 Uhr 58 sind sie am Bahnhof Liverpool Street. Ihre Tochter holt sie dort ab.«
»Etwas umständlich, nicht? Eine Fahrt am Sonntag hat ihre Tücken. Warum wollen sie nicht bis Montag früh warten?«
»Weil Mrs. Duncan-Smith übers Wochenende in ihrem Club am Audley Square weilt und für sie da ein Zimmer reserviert hat. Am Montag fahren sie dann frühmorgens nach Wiltshire.«
»Und was ist mit dir? Macht es dir nichts aus, wenn du allein zurückbleibst?«
»Das stört mich nicht im geringsten. Sie werden mir fehlen, aber dann kann ich all das erledigen, was ich mir schon lange vorgenommen habe. Ich könnte auch mehr Zeit bei dir verbringen und dir beim Lesen der Fahnen helfen. Angst werde ich wohl keine bekommen, obwohl ich das gut verstehen könnte. Manchmal versuche ich mir Situationen vorzustellen, in denen mich die Angst packt. Ich male mir das Grauen aus, als wollte ich mich selbst auf die Probe stellen. Aber das geschieht nur tagsüber. Wenn die Nacht hereinbricht und wir am Kaminfeuer sitzen, braucht man nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, daß er da draußen in der Finsternis lauert. Doch was mich wirklich beunruhigt, ist das dumpfe Gefühl, daß man von etwas Unbekanntem bedroht wird. Dieses Gefühl weckt das AKW in mir. Es ist für mich eine gefährliche, undurchschaubare Macht, die ich weder beherrschen noch irgendwie begreifen kann.«
»Den Whistler
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