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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Scheiterhaufens, das dumpfe Auflodern der Flammen, dann eine bedrückende Stille, die der schrille, langgezogene Aufschrei einer Frau zerriß.
    »Geht’s dir nicht gut?« hörte sie Alice fragen.
    »Ich war momentan verwirrt. Aber das ist schon vorbei. Mir geht’s wieder gut.«
    »Du bist überarbeitet«, meinte Alice. »Der Pfarrhof ist eine zu große Belastung für dich. Und der gestrige Abend war nicht eben erholsam. Der Schock scheint nachzuwirken.«
    Meg sagte: »Gestern habe ich Mr. Dalgliesh erzählt, ich hätte nicht das Gefühl, daß Agnes Poley in Martyr’s Cottage noch spürbar sei. Ich habe mich getäuscht. Sie ist noch da. Etwas von ihr ist zurückgeblieben.«
    »Das hängt von deinem Zeitverständnis ab«, erwiderte ihre Freundin zögernd. »Wenn die Zeit wirklich rückwärts laufen kann, was manche Wissenschaftler behaupten, ist Agnes vielleicht tatsächlich noch da, dann gibt es sie noch, dann umzüngeln sie weiterhin die Flammen des Scheiterhaufens. Ich selbst spüre ihre Anwesenheit nicht. Mir ist sie noch nie erschienen. Vielleicht mag sie mich nicht. Ich bin überzeugt, daß die Toten nicht wiederkehren. Wenn ich das nicht glaubte, könnte ich nicht weiterleben.«
    Meg verabschiedete sich und machte sich entschlossen auf den Weg. Die Copleys, die vor der schwierigen Entscheidung standen, was sie für einen Aufenthalt von unbefristeter Dauer alles mitnehmen sollten, wurden sicherlich schon unruhig. Auf der Hügelkuppe wandte sie sich um. Alice stand noch immer auf der Türschwelle. Als wollte sie Meg segnen, hob sie die Hand und verschwand im Haus.

Drittes Buch
    Sonntag, 25. September
       

19
    G egen Viertel nach 8 am Sonntag abend hatte Theresa endlich ihre Schularbeiten erledigt, die sie so lange hatte hinausschieben müssen. Nun konnte sie das Rechenbuch beiseite legen und ihrem Vater sagen, daß sie müde sei und zu Bett gehen wolle. Nach dem Abendessen hatte er ihr beim Geschirrspülen geholfen – es hatte Irish Stew gegeben, dem sie eine Extraportion Karotten aus der Dose hinzugefügt hatte – und sich hinterher wie immer vor dem Fernseher niedergelassen. Er saß zusammengesunken in dem ramponierten Lehnsessel am Kamin, in dem kein Feuer brannte, neben sich auf dem Boden eine Flasche Whisky. Bis zum Programmende würde er da hocken bleiben und wie gebannt auf den Bildschirm starren; dabei hatte sie den Eindruck, als nehme er das schwarzweiße Geflimmer gar nicht recht wahr. Manchmal graute schon der Morgen, wenn sie, wach geworden, seine schweren Schritte auf der Treppe hörte.
    Gegen halb 8 Uhr abends hatte Mr. Jago angerufen. Sie hatte sich seine Mitteilung angehört und erwidert, daß ihr Vater in seinem Atelier sei und nicht gestört werden wolle. Das stimmte nicht. Er war hinten im Garten auf dem Abort gewesen. Aber das wollte sie Mr. Jago nicht sagen. Außerdem wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, ihren Vater zu holen, an die Aborttür zu klopfen. Manchmal dachte sie sich, daß er gar nicht mußte, wenn er die Taschenlampe nahm und dorthin ging, daß dieser Verschlag mit seiner rissigen Tür und dem breiten Sitz für ihn vielmehr eine Art Zuflucht vor dem Leben in dem Cottage war, vor all dem Wirrwarr, der Unordnung, vor Anthonys Geplärr, vor Theresas unzulänglichen Anstrengungen, die Aufgaben ihrer Mutter zu übernehmen.
    Er war wohl schon auf dem Rückweg gewesen und mußte das Läuten gehört haben, denn als er hereinkam, fragte er gleich, wer angerufen habe.
    »Da hat sich jemand verwählt, Daddy«, hatte sie gelogen und dabei entschuldigend dreingeblickt, wie sie es in solchen Situationen zu tun pflegte. Sie war froh, daß ihr Vater nicht mit Mr. Jago hatte sprechen können. Wahrscheinlich hätte er ihn im Local Hero treffen wollen, weil er wußte, daß er Theresa die Aufsicht für ein paar Stunden unbesorgt überlassen konnte. Aber heute abend wollte sie nicht, daß er das Haus verließ. Die Whiskyflasche war erst halb leer; sie hatte nachgesehen. Und sie wollte nur eine knappe Dreiviertelstunde wegbleiben. Falls ein Feuer ausbrach – diese dumpfe Angst war von ihrer Mutter auf sie übergegangen –, würde er noch nicht so betrunken sein, daß er Anthony und die Zwillinge nicht retten könnte.
    Sie küßte ihn auf die Wange, die sich stoppelig anfühlte, und nahm den vertrauten Geruch von Whisky, Terpentin und Schweiß wahr. Er verwuschelte ihr zärtlich das Haar – die einzige liebevolle Geste, die sie ihm noch entlocken konnte. Dabei starrte er

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