Vorsatz und Begierde
Kerzenflamme zu schauen.
Theresa versuchte, sich nur auf die Fragen zu konzentrieren, die sie ihrer Mutter stellen wollte. Aber deren Tod lag erst kurze Zeit zurück. Die Erinnerung war zu quälend, als daß sie sich leicht unterdrücken ließe.
Ihre Mutter hatte nicht im Krankenhaus sterben wollen, und ihr Vater hatte ihr auch versprochen, es nicht dazu kommen zu lassen; Theresa hatte gehört, wie er ihr das zugeflüstert hatte. Sie wußte auch, daß Dr. Entwhistle und die Gemeindeschwester dagegen gewesen waren. Überhaupt hatte sie vieles gehört, das gar nicht für ihre Ohren bestimmt gewesen war, als sie hinter der Eichentür, die zum Wohnzimmer führte, gelauscht hatte.
»Sie müssen rund um die Uhr versorgt werden, Mrs. Blaney«, hatte eine Stimme gesagt. »Soviel Fürsorge kann ich Ihnen hier nicht bieten. Im Krankenhaus hätten Sie’s viel bequemer.«
»Hier fühle ich mich aber wohl. Ich habe Ryan und Theresa. Ich habe Sie. Sie sind alle so gut zu mir. Ich brauche sonst niemand.«
»Ich tue mein möglichstes, aber es reicht nicht, wenn ich zweimal am Tag zu Ihnen komme. Mr. Blaney und Theresa sind überfordert. Ich kann verstehen, daß Sie sich wohl fühlen, wenn Sie Theresa um sich haben. Aber das Mädchen ist erst fünfzehn.«
»Ich möchte bei meiner Familie sein. Wir wollen zusammenbleiben.«
»Aber was ist, wenn die Kinder Angst bekommen? Für sie wird es schwer werden.«
Dann wieder die zarte, unerbittliche Stimme, aus der man die hartnäckige Selbstsucht einer Sterbenden heraushörte: »Die Kinder werden keine Angst bekommen. Meinen Sie denn, wir würden das zulassen? An Geburt oder Tod ist nichts Erschreckendes, wenn man Kinder darauf vorbereitet hat.«
»Auf manches kann man Kinder nicht vorbereiten, Mrs. Blaney. Manches muß man erst selbst erleben.«
Daraufhin hatte sie, Theresa, sich redlich bemüht, allen vorzuführen, daß es ihnen gutging, daß sie sich selbst zu helfen wußten, ja, sie hatte diesen Eindruck noch bewußt zu verstärken gesucht. Vor der Ankunft von Schwester Pollard und Dr. Entwhistle wusch sie jedesmal die Zwillinge, zog ihnen saubere Sachen an, wechselte Anthonys Windeln. Es sollte so aussehen, als liefe alles wie am Schnürchen, so daß Dr. Entwhistle und die Schwester nicht behaupten konnten, Daddy sei der Situation nicht gewachsen. Eines Samstags buk Theresa sogar Krapfen und bot sie mit gewichtiger Miene auf einem Servierteller an, dem schönsten Teller, den Mutter so liebte; er hatte aufgemalte Rosen und einen durchbrochenen Rand, durch den man ein Seidenband ziehen konnte. Sie konnte sich noch gut an den erstaunten Blick von Dr. Entwhistle erinnern, als dieser sagte: »Vielen Dank, Theresa. Aber jetzt nicht.«
»Nehmen Sie doch einen«, hatte sie erwidert. »Daddy hat sie gemacht.«
Bevor der Doktor dann fortging, sagte er noch zu ihrem Vater: »Ich glaube, Sie schaffen es, Blaney. Ich könnte es nicht.«
Nur einer schien zu bemerken, wie sehr sie sich abmühte – Pfarrer McKee, der wie die Iren im Fernsehen redete, so daß sie stets dachte, er tue es absichtlich, um sie aufzuheitern, was sie auch mit einem Lächeln honorierte.
»Du meine Güte, hier blitzt und blinkt ja alles vor Sauberkeit!« sagte er einmal. »Da könnte ja unsere Muttergottes vom Fußboden essen, nicht wahr? Und die Krapfen hat tatsächlich dein Vater gemacht? Lecker sehen sie aus! Da muß ich mir noch einen für später einstecken. Und jetzt bist du ein braves Mädchen und machst mir eine Tasse Tee, während ich mit deiner Mutter ein wenig plaudere.«
Aber an die Nacht, als man ihre Mutter fortschaffte, wollte sie nicht denken. Gräßliche Laute reißen sie aus dem Schlaf. Laute, die sich anhören, als würde vor dem Haus ein Tier gequält. Doch die Laute kommen von draußen; panische Angst; die Gestalt ihres Vaters im Türrahmen; sie solle im Zimmer bleiben, herrscht er sie an, solle die Kinder beruhigen; sie blickt durch das Fenster in dem kleinen, an der Vorderseite gelegenen Zimmer, wo die Zwillinge mit verängstigten Gesichtern im Bettchen sitzen; sie sieht den Krankenwagen, die beiden Männer mit der Bahre, die stille, in eine Decke gehüllte Gestalt, die zum Wagen getragen wird.
Im selben Moment war sie die Treppe hinuntergerannt und hatte sich ihrem widerstrebenden Vater in die Arme geworfen.
»Nicht doch! Ist schon gut. Bringt sie herein!« hatte jemand gesagt.
Sie wußte nicht mehr, wer das gesagt hatte. Sie hatte sich losgerissen, war dem Krankenwagen
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