Vorsatz und Begierde
Schuldgefühle doch nicht mir zu! Ich mußte hier nach dem Rechten sehen. Da ist der feuchte Fleck in der Küche. Das Dach ist undicht. Sie wollten doch selbst, daß das behoben wird. Sie haben mir doch selbst gesagt, daß ich als Hausbesitzerin auch Verpflichtungen habe. Und wenn Sie jetzt nicht ausziehen wollen, muß ich mir eben eine Genehmigung für eine Mieterhöhung beschaffen. Was Sie zahlen, ist doch lächerlich. Das deckt nicht mal die Reparaturkosten.«
»Versuchen Sie’s doch! Wenden Sie sich ruhig an die Schiedsstelle. Von mir aus können die Typen kommen und nachschauen. Das Haus gehört Ihnen, aber ich habe das Nutzungsrecht. Und ich zahle regelmäßig meine Miete. Mich können Sie nicht hinausekeln. So dumm bin ich nicht.«
»Sie zahlen Miete, aber wie lange noch? Es ging Ihnen einigermaßen gut, als Sie noch den Teilzeitjob als Lehrer hatten. Aber jetzt kommen Sie nicht mehr zurecht. Sie halten sich für einen Künstler, aber Sie fabrizieren kitschige Bilder für unkritische Touristen, die meinen, ein viertklassiges Original sei besser als ein erstklassiger Druck. Aber selbst solche Bilder verkaufen sich nicht mehr so gut, nicht wahr? Die vier Aquarelle, die Ackworth in seinem Schaufenster ausgestellt hat, hängen da schon seit Wochen. Sie vergilben bereits. Die Touristen von heute sind nicht mehr so einfältig. Kitsch verkauft sich nicht mehr so gut, auch wenn er billig ist.«
Da die Zwillinge oben zu streiten begannen, war Theresa zu ihnen hinauf gehuscht und hatte ihnen gesagt, es würde nicht mehr lange dauern, aber sie dürften erst herauskommen, wenn die Hexe das Haus verlassen hätte. Danach schlich sie sich wieder hinab. Aber sie brauchte nur bis zur vierten Stufe zu gehen, so laut schrien die beiden mittlerweile.
»Ich möchte wissen, ob Sie die Frau hierhergeschickt haben, diese aufdringliche Fürsorgerin vom Sozialamt, die meine Kinder über mich ausgefragt hat. Haben Sie sie auf uns gehetzt?«
Die Hexe reagierte gelassen. »Diese Frage brauche ich nicht zu beantworten. Wenn ich sie informiert habe, dann war es höchste Zeit, daß endlich etwas geschah.«
»Sie sind das Böse in Person! Sie würden alles tun, um mich und meine Kinder aus diesem Haus zu vertreiben. Vor vierhundert Jahren hat man solche Menschen wie Sie verbrannt. Wenn die Kinder nicht wären, würde ich Sie umbringen. Aber ich kann sie nicht der sogenannten Fürsorge überlassen, nur weil ich Sie am liebsten erwürgen möchte. Reizen Sie mich nicht. Treiben Sie’s nicht zu weit! Und verschwinden sie jetzt! Verlassen Sie mein Haus und das Grundstück! Stecken Sie die Miete ein, und seien Sie dankbar, daß Sie’s noch tun können. Und mischen Sie sich nie mehr in mein Leben ein! Nie mehr!«
»Seien Sie doch nicht hysterisch!« erwiderte die Hexe. »Sie sind ein Mensch, der zu Gewalttätigkeit neigt. Es wäre das Beste, wenn sich die Fürsorge Ihrer Kinder annähme. Ich glaube Ihnen, daß Sie mich am liebsten umbringen würden. Menschen wie Sie reagieren auf vernünftige Argumente immer nur mit Drohungen und Gewalt. Wenn Sie mich umbringen, wird in den nächsten fünfzehn Jahren eben der Staat für Ihre Kinder sorgen. Machen Sie sich doch nicht lächerlich!«
Ihr Vater schrie plötzlich nicht mehr, sondern sprach so leise, daß Theresa seine Worte gerade noch verstehen konnte: »Wenn ich Sie umbringe, wird niemand über mein Leben oder das meiner Kinder bestimmen. Niemand.«
Die Erinnerung an diese schreckliche Begegnung hatte ihren Zorn und mit ihm ihre Lebensgeister neu entfacht. Jetzt würde sie heimfahren. Es war auch höchste Zeit. Doch dann sah sie, daß sich auf dem Strand etwas bewegte. Ein Schauer überlief sie, als sie sich in die Dunkelheit unter dem Fensterbogen zurückzog. Von dem Kiefernwäldchen im Norden lief eine Frau zum Meer. Ihr dunkles Haar flatterte im Wind. Ihr weißer Körper war fast nackt. Und sie stieß einen triumphierenden Schrei aus. Es war die Hexe. Es war Hilary Robarts.
20
Hilary Robarts bereitete sich ein frühes Abendessen zu. Da sie keinen großen Hunger hatte, entnahm sie dem Gefrierfach ein Brötchen, erwärmte es im Bratrohr und machte sich ein Kräuteromelette dazu. Nachdem sie das Geschirr gespült und die Küche wieder in Ordnung gebracht hatte, setzte sie sich an den Eßzimmertisch, um zu arbeiten. Sie mußte einen Bericht über die Auswirkungen der Umstrukturierung auf ihre Abteilung machen, statistisches Material vergleichen und zusammenfassen und ein Exposé über die
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