Vorsatz und Begierde
nachgelaufen, der eben am Ende der Zufahrt abbog, hatte mit den Fäusten gegen die geschlossene Wagentür gehämmert. Schließlich hatte ihr Vater sie gepackt und zum Haus getragen. Sie konnte sich noch an seinen festen Griff erinnern, daran, wie sein Hemd gerochen, wie es sich angefühlt hatte, und daß sie, ohne etwas zu bewirken, wild um sich geschlagen hatte. Ihre Mutter hatte sie nie mehr wiedergesehen. So hatte Gott ihre Gebete erhört, die Gebete ihrer Mutter, die daheim bleiben wollte, die so wenig für sich verlangt hatte. Was immer Pfarrer McKee sagen mochte, das würde Theresa Gott nie vergeben.
Die Kühle der Septembernacht drang allmählich durch ihre Jeans und die Strickjacke. Ihr verkrampfter Rücken begann zu schmerzen. Zum erstenmal überkamen sie Zweifel. Doch dann flackerte die Kerzenflamme, und ihre Mutter war da. Alle Ängste fielen von ihr ab.
Theresa kam mit so vielen Dingen nicht zurecht. Da waren die Windeln für Anthony. Die Wegwerfwindeln waren so teuer. Und so sperrig beim Tragen. Und Daddy schien sich keine Gedanken darüber zu machen, wieviel sie kosteten. Ihre Mutter riet, sie solle doch Stoffwindeln nehmen und diese hinterher waschen. Und dann die Zwillinge. Sie mochten Mrs. Hunter nicht, die sie immer abholte und zum Kinderhort brachte. Die Zwillinge sollten höflich zu Mrs. Hunter sein, meinte die Mutter, und sich nicht so anstellen. Denn es war wichtig, daß sie Daddy zuliebe den Hort besuchten. Das müsse Theresa ihnen klarmachen. Und dann noch Daddy selbst. Über ihn ließe sich soviel sagen. Zwar ging er nicht mehr so oft in den Pub, weil er seine Kinder nicht allein lassen wollte, aber es war immer Whisky im Haus. Wegen des Whiskys solle sie sich keine Sorgen machen, beruhigte sie die Mutter. Er täte ihm jetzt gut. Bald würde er wieder zu malen anfangen, und dann bräuchte er nicht mehr soviel. Doch wenn er sich mal betrinken sollte und es sei noch eine zweite Flasche im Haus, solle sie diese besser ausgießen. Sie brauche keine Angst zu haben, daß ihn das erbosen würde. Theresa würde er nie hart anpacken.
Das stumme Zwiegespräch ging weiter. Theresa saß wie in Trance da, während die Kerze langsam niederbrannte. Und dann war es plötzlich zu Ende. Ihre Mutter war nicht mehr da. Bevor sie die Kerze ausblies, kratzte sie noch mit dem Messer das Wachs von den Steinen. Sie durfte keine Spuren hinterlassen. Dann schob sie die Steine wieder in die Mauerfugen. Jetzt hielt sie nichts mehr in der Ruine; das Gemäuer war kalt und leer. Außerdem war es Zeit, wieder heimzukehren.
Plötzlich überkam sie eine große Müdigkeit. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß ihre Beine sie noch zum abgestellten Fahrrad tragen würden, und der Gedanke, über das holprige Gelände heimzufahren, bereitete ihr Unbehagen. Irgendein Impuls veranlaßte sie, zum Rand des Steilhangs zu gehen. Vielleicht konnte sie dort aus dem Anblick des mondhellen Meeres neue Kraft schöpfen, vielleicht sogar das Zwiegespräch mit ihrer Mutter wiederaufnehmen.
Doch dann stiegen so viele Erinnerungen in ihr hoch, daß es ihr nicht gelang. Vor allem eine war so bedrückend, daß sie nie darüber gesprochen hatte, nicht einmal mit ihrer Mutter. Sie sah wieder den roten Wagen, der mit hoher Geschwindigkeit auf Scudder’s Cottage zufuhr. Theresa rief die Kinder herbei, die im Garten waren, trieb sie die Treppe hinauf in ihre Kammer und schloß die Wohnzimmertür. Doch wenig später stand sie davor und lauschte. Das Gespräch würde sie nie vergessen.
Zuerst sprach Hilary Robarts: »So ein Haus war doch einer schwerkranken Frau, die bestrahlt werden mußte und deswegen öfters nicht daheim war, gar nicht zuzumuten«, sagte sie. »Als Sie das Haus mieteten, müssen Sie doch von ihrer Krankheit gewußt haben. Sie konnte sich nicht mehr um den Haushalt kümmern.«
»Und Sie dachten wohl, ich könnte es auch nicht, wenn sie erst einmal nicht mehr lebt«, erwiderte Theresas Vater. »Wie viele Monate hatten Sie ihr noch gegeben? Sie täuschten Besorgnis vor, aber meine Frau wußte genau, was Sie wollten. Sie wollten nur sehen, wie sie von Woche zu Woche verfiel. Sie wollten ihren ausgemergelten Körper sehen, ihre spindeldürren Handgelenke, ihre krebszerfressene Haut. Lange kann es nicht mehr dauern, dachten Sie sich. Für Sie ist das Haus doch nur eine gute Investition. Sie haben mit ihrem Tod gerechnet und ihr das Leben in den letzten Wochen zur Hölle gemacht.«
»Das ist nicht wahr! Schieben Sie Ihre
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