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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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wäre er gelaufen. Oliphant und die vier weiteren Beamten setzten ihre Ausrüstung ab und blieben wortlos stehen. Dalgliesh kam es so vor, als spielten sie alle in einem Film; gleich würde der Regisseur die Anordnung zum Drehen geben, später würde eine Stimme »Aus!« schreien, die Gruppe würde sich zerstreuen, und die Tote würde sich recken, sich aufsetzen, Arme und Beine reiben und über ihre verkrampften Muskeln und das Kältegefühl klagen.
    »Kannten Sie sie, Mr. Dalgliesh?« erkundigte sich Rikkards, den Blick noch immer auf die Tote gerichtet.
    »Es ist Hilary Robarts, Abteilungsleiterin im AKW von Larksoken. Ich habe sie letzten Donnerstag auf einer Dinnerparty, die Miss Mair gab, kennengelernt.«
    Rikkards schaute zu Alex Mair hinüber. Dieser stand reglos, den Rücken ihnen zugewandt, so nahe bei den anrollenden Wellen, daß diese fast seine Schuhe berührten. Er machte keine Bewegung, als warte er darauf, daß man ihm eine Anweisung gab oder daß Rikkards sich zu ihm gesellen würde.
    »Das ist Dr. Alex Mair«, sagte Dalgliesh. »Der Direktor des AKWs. Ich habe Sie über sein Autotelephon angerufen. Er möchte bleiben, bis die Tote fortgeschafft wird.«
    »Dann muß er sich noch eine Weile gedulden. Das ist also Dr. Mair. Ich habe über ihn gelesen. Wer hat die Tote entdeckt?«
    »Ich war’s. Ich denke, das habe ich telephonisch durchgegeben.«
    Entweder versuchte Rikkards von ihm Informationen zu erfragen, die er bereits kannte, oder seine Mitarbeiter waren unfähig, simple Angaben weiterzuleiten.
    Rikkards wandte sich Sergeant Oliphant zu. »Sagen Sie ihm, daß es noch eine Weile dauern wird. Er kann uns hier nicht weiter helfen und behindert höchstens die Spurensuche. Reden Sie ihm gut zu, daß er sich aufs Ohr legt. Wenn gutes Zureden nichts hilft, dann setzen Sie eben die Amtsmiene auf.« Als Oliphant losging, sagte Rikkards noch: »Wenn er unbedingt bleiben will, dann soll er sich nicht von der Stelle rühren. Ich möchte ihn nicht am Tatort haben. Deckt die Tote zu. Das verdirbt ihm den Spaß.«
    Eine solche beiläufig grausame Bemerkung hätte Dalgliesh nicht von ihm erwartet. Mit dem Mann stimmte etwas nicht. Dahinter verbarg sich mehr als nur berufliche Überbeanspruchung, die durch ein weiteres Mordopfer des Whistlers ausgelöst worden war. Es hatte den Anschein, als seien halb eingestandene, nur unzureichend unterdrückte persönliche Ängste durch den Anblick der Toten geweckt worden und triumphierten nun über Vorsicht und Disziplin.
    Dennoch war Dalgliesh empört. »Der Mann ist kein Voyeur«, sagte er. »Er mag vielleicht im Augenblick nicht vernünftig handeln. Aber er kannte die Frau. Hilary Robarts gehörte zu seinen wichtigsten Mitarbeitern.«
    »Er kann ihr jetzt nicht mehr helfen, selbst wenn sie seine Geliebte gewesen wäre.« Als hätte ihn der leise Tadel beeindruckt, fügte Rikkards aber noch hinzu: »Schon gut, ich werde mit ihm reden.«
    Schwerfällig stapfte er über den Kies davon. Als Oliphant ihn hörte, drehte er sich um. Zusammen näherten sie sich dem Mann, der stumm am Meeressaum stand. Dalgliesh sah, daß sie mit ihm redeten und dann zu dritt den Strand hinaufschritten. Alex Mair ging zwischen den beiden Polizeibeamten, als sei er ein Häftling, der eskortiert wurde. Rikkards kehrte zu der Toten zurück, während Sergeant Oliphant offensichtlich Alex Mair zu dessen Wagen begleiten sollte. Er knipste seine Stablampe an und richtete den Lichtkegel auf den Wald. Alex Mair zögerte. Er schaute nicht zu der Leiche hinüber, als gäbe es sie gar nicht. Aber er musterte Dalgliesh, wie um ihm noch etwas zu sagen. Schließlich rief er: »Gute Nacht!« und folgte Sergeant Oliphant.
    Rikkards äußerte sich nicht darüber, warum Alex Mair es sich plötzlich anders überlegt oder was ihn dazu bewogen hatte.
    »Sie hatte keine Handtasche dabei«, sagte er.
    »Der Hausschlüssel ist in dem Medaillon, das um ihren Hals hängt«, erklärte Dalgliesh.
    »Haben Sie die Leiche angefaßt, Mr. Dalgliesh?«
    »Nur den Oberschenkel und ihr Haar. Ich wollte nachsehen, ob es noch feucht ist. Das Medaillon hat ihr Mair geschenkt. Er hat es mir gesagt.«
    »Sie wohnt hier in der Nähe, nicht?«
    »Sie müssen das Haus beim Vorüberfahren gesehen haben. Es liegt jenseits des Kiefernwaldes. Nachdem ich die Leiche entdeckt hatte, ging ich dorthin, weil ich annahm, die Haustür sei vielleicht unverschlossen. Dann hätte ich von dort aus telephonieren können. Aber jemand hat sich dort zu

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