Vorsicht, frisch verliebt
Magen wie ein Löffel heißen Sirups, und plötzlich lag ein Moschusduft in der abendlichen Luft.
Er berührte ihre Hand. Sie blickte auf seine Finger, hob jedoch, statt sich der Berührung zu entziehen, erneut ihr Weinglas an den Mund.
Er begann mit ihren Fingerspitzen zu spielen und machte ihr dadurch deutlich, dass dies mehr war als ein netter, beiläufiger Flirt. Dies war eine Verführung, doch die Tatsache, dass sie sorgsam kalkuliert war, störte sie nur einen flüchtigen Moment. Sie war zu demoralisiert, um von seinem unverblümten Vorgehen abgestoßen zu sein.
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er schien sich in seinem Körper rundum wohl zu fühlen, und sie beneidete ihn um seine physische Arroganz.
Gemeinsam verfolgten sie, wie sich die amerikanischen Studenten lärmend miteinander unterhielten. Er bestellte ein viertes Glas Wein für sie, und sie klapperte, statt den Kopf zu schütteln, tatsächlich mit den Wimpern! Siehst du, Michael, ich weiß durchaus, wie diese Dinge gehen. Und weißt du, warum? Weil ich wesentlich sinnlicher bin, als du jemals gedacht hast...
Sie war froh, dass eine Unterhaltung wegen der Sprachbarriere einfach nicht möglich war. Ihr bisheriges Leben war total mit Worten angefüllt gewesen - mit Interviews, mit Videos, mit Vorträgen, mit Büchern. Sie hatte geredet, geredet und geredet. Und wohin hatte all das Reden sie letztendlich gebracht?
Einer seiner Finger glitt unter ihre Hand und strich lüstern über ihren Ballen. Savonarola, der Feind aller sinnlichen Freuden, war im fünfzehnten Jahrhundert genau hier auf dieser Piazza auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Ginge es ihr am Schluss genauso?
Schön, jetzt stand sie in hellen Flammen, und alles schien sich in ihrem Kopf zu drehen. Trotzdem war sie noch nicht zu betrunken, um nicht zu bemerken, dass sein Lächeln nie bis zu seinen Augen kam. Er hatte so etwas schon Hunderte von Malen gemacht. Hier ging es nicht um Ehrlichkeit, sondern um puren Sex.
In diesem Moment kam ihr eine Erkenntnis. Er war ein Gigolo.
Sie sollte ihm ihre Hand entreißen, doch weshalb? Auf diese Weise wäre alles völlig klar, und sie schätzte Klarheit über alles. Mit ihrer freien Hand hob sie ihr Weinglas erneut an die Lippen. Sie war nach Italien gekommen, um ein neues Leben zu beginnen. Doch wie sollte sie das tun, ehe sie nicht das hässliche innere Tonband mit Michaels Anschuldigungen löschte, das ständig in ihrem Kopf ablief und das ihr das Gefühl gab, alt, verschrumpelt und schlichtweg mangelhaft zu sein. Hastig unterdrückte sie die aufsteigende Verzweiflung.
Vielleicht war Michael ja verantwortlich für ihre sexuellen Probleme? Hatte nicht Dante, der Gigolo, ihr in wenigen Minuten mehr über Sinnlichkeit gezeigt als Michael in vier Jahren? Womöglich konnte ein Profi ja erreichen, was einem Amateur anscheinend nicht gelang? Zumindest könnte sie darauf vertrauen, dass ein Profi die richtigen Knöpfe zu drücken verstand.
Die Tatsache, dass sie auch nur darüber nachdachte, hätte sie schockieren sollen, doch das letzte halbe Jahr hatte sie regelrecht betäubt. Als Psychologin war ihr klar, dass niemand ein neues Leben beginnen konnte, indem er die alten Probleme ignorierte. Die tauchten nämlich unweigerlich ständig wieder auf und plagten einen weiter.
Sie wusste, sie sollte eine solch wichtige Entscheidung nicht betrunken treffen. Andererseits jedoch zöge sie, wenn sie nüchtern wäre, einen solchen Schritt nie in Erwägung, was ihr plötzlich wie der größtmögliche Fehler erschien. Was könnte sie Besseres mit dem wenigen Geld, das sie noch hatte, tun, als einen endgültigen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen? Genau dieser Schritt hatte ihr in ihrem Plan zur Neuerfindung ihres Lebens bisher noch gefehlt.
Abgeschiedenheit. Erholung. Nachdenken und sexuelle Gesundung - dies waren die vier Schritte, die am Schluss zum fünften Schritt, dem Handeln , führen würden. Ohne dass sie dabei die vier Ecksteine des positiven Lebens völlig aus dem Blick verlor.
Er leerte genüsslich sein Glas, strich weiter über ihren Ballen und schob schließlich seinen Finger unter das goldene Armband und tastete nach ihrem Puls. Doch nun schien das Spiel ihm langweilig zu werden. Er warf eine Hand voll Scheine auf den Tisch, stand auf und streckte langsam seine Hand in ihre Richtung aus.
Dies war der Moment, in dem sie sich entscheiden musste. Sie bräuchte nur ihre Hand auf dem Tisch liegen zu lassen und den Kopf zu
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