Vorsicht, frisch verliebt
hörte und die Tür rasselnd aufging, drehte sie den Kopf.
Ren kam herein und füllte mit seiner Präsenz sofort die kleine Zelle aus. Sie versuchte gar nicht erst, seine Miene zu ergründen. Er war Schauspieler und konnte somit jedes gewünschte Gefühl problemlos simulieren.
Die Tür wurde hinter ihm geschlossen und der Schlüssel von außen im Schloss herumgedreht. »Ich habe mir wirklich Sorgen um dich gemacht«, begann er das Gespräch.
Er wirkte nicht besorgt, sondern, wenn auch vielleicht etwas angespannt, so doch ungewohnt kampfbereit. Sie schob das Blatt Papier, das sie Bernardo hatte abringen können, von ihren Knien auf die Pritsche. »Das war sicher auch der Grund, weshalb du über drei Stunden gebraucht hast, um endlich hier aufzutauchen.«
»Ich musste ein paar Telefongespräche führen.«
»Tja, das ist natürlich ein Grund ...«
Er trat näher und sah sie unbehaglich an. »Dieser Wahnsinn oben auf der Ruine ... ich war ein bisschen grob. Ist mit dir alles in Ordnung?«
»Ich bin ziemlich zäh. Habe ich dir eventuell wehgetan?«
Er presste die Lippen aufeinander - ob zu einem Lächeln oder zu einer Grimasse, konnte sie nicht sagen -, steckte eine Hand in seine Hosentasche und zog sie sofort wieder heraus. »Was hast du damit gemeint, als du gesagt hast, du hättest bisher zu weiträumig gedacht?«
Inzwischen kannte sie ihren Platz auf dieser Welt, und es gab keinen Grund, es ihm nicht zu erklären. »Mein Leben. Ich habe den Leuten immer geraten, weiträumig zu denken, aber jetzt ist mir bewusst geworden, dass man manchmal auch zu weiträumig denken kann.« Sie drückte sich an den Rand der Pritsche.
»Ich verstehe immer, noch nicht, was du damit meinst.«
»Ich habe so weiträumig gedacht, dass ich den Blick dafür verloren habe, wie ich mir mein Leben wünsche.«
»In deinem Leben geht es darum, den Menschen zu helfen«, entgegnete er leidenschaftlich. »Das hast du nie auch nur eine Sekunde vergessen.«
»Es geht dabei um den Rahmen.« Sie ballte die Fäuste. »Ich brauche keine großen Säle mehr zu füllen. Ich brauche keine Wohnung direkt am Central Park und auch keinen Schrank voller Designerklamotten. Am Ende hat mich das alles fast erstickt. Meine Karriere, mein Besitz - all das hat mir die Zeit gestohlen und mich meiner Visionen beraubt.«
»Jetzt hast du sie wieder.« Dies war eine Feststellung und keine Frage. Er verstand, dass eine bedeutsame Veränderung in ihrem Innern vorgegangen war.
»Ich habe sie wieder.« Tracy und Harry zu helfen hatte sie mit größerer Befriedigung erfüllt als ihr letzter Vortrag in der bis auf den letzten Platz besetzten Carnegie Hall. Sie wollte kein Guru für die Massen mehr sein. »Ich werde eine kleine psychologische Praxis eröffnen, und zwar irgendwo in einer sozial benachteiligten Gegend. Ich werde möglichst einfach leben, und wenn die Leute mich bezahlen können, werde ich mich freuen, und wenn nicht, ist es auch egal.«
Er kniff die Augen zusammen und funkelte sie an. »Ich fürchte, ich habe eine Neuigkeit für dich, die diese simplen Pläne über den Haufen werfen wird.«
Sie hatte sich auf das Chaos eingelassen, und so musterte sie ihn lediglich abwartend, statt ihm sofort zu widersprechen.
Er trat dicht genug an sie heran, um massiv über ihr aufragen zu können, was sie jedoch inzwischen eher interessant als bedrohlich fand. »Durch den Diebstahl des Morgenschattens ist es dir gelungen, den gesamten Ort gegen dich aufzubringen.«
»Ich habe die Statue nicht gestohlen, sondern lediglich geborgt.«
»Das konnte niemand wissen, und jetzt wollen die Leute aus Casalleone dich für die nächsten zehn Jahre hinter Gittern sitzen sehen.«
»Zehn Jahre?«
»Vielleicht etwas kürzer, möglicherweise auch etwas länger. Ich habe daran gedacht, mich mit der amerikanischen Botschaft in Verbindung zu setzen, aber das erschien mir doch etwas zu riskant.«
»Du hättest erwähnen können, wie viel Geld das Finanzamt allein in diesem Jahr bereits von mir bekommen hat.«
»Ich glaube, es wäre keine allzu gute Idee, die Sprache auf deine kriminelle Vergangenheit zu bringen.« Er lehnte sich mit einer Schulter an die mit Graffitis verzierte Wand und wirkte deutlich gelassener als bei seiner Ankunft. »Wenn du italienische Staatsbürgerin wärst, hätte man dich wahrscheinlich gar nicht erst verhaftet. Dadurch, dass du Ausländerin bist, wird natürlich alles noch deutlich verkompliziert.«
»Klingt, als bräuchte ich tatsächlich einen
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