Vorstoß ins Niemandsland
Empfindung.
Der Schneefall ließ nach, die vom Ortungsgerät aufgezeichnete Windgeschwindigkeit hingegen nicht. Sie nahm sogar noch zu.
Die Bewegungen, mit denen er seinen Körper auf allen vieren voranschleppte, wurden immer schwächer, und er ertappte sich bei einem Gedanken, den er niemals einem Priester hätte offenbaren dürfen. Wenn ich bei den Vielbeinern geblieben wäre, dann hätte ich jetzt bereits alles hinter mir!
Dann stoppte er in der Bewegung. Er starrte durch seine auf Infrarot-Modus geschaltete Schutzbrille in die Nacht hinein und sah …
… einen Hügel.
Der Schnee türmte sich dort auf. Da stimmte etwas nicht – die Oberfläche dieses Planeten wies nur wenige Anhöhen natürlichen Ursprungs auf.
Was befand sich vor ihm? Ein durch Spannungen aus dem Eis herausgebrochenes Stück vielleicht? Oder die Spitze eines Gebirges?
Aus den allgemeinen Daten über diese Welt wusste er, dass der planetenumspannende Ozean von ein paar Inseln unterbrochen wurde. Keine von ihnen war größer als fünfzig Quadratkilometer, aber wenn man sich in einer Simulation die Oberflächentemperatur im Durchschnitt um dreißig oder vierzig Grad wärmer vorstellte, dann hätte sich das Bild einer wasserblauen Kugel ergeben, auf der sich ein paar dunkle, pockenartige Punkte befanden.
Die Landmassen! , dachte Sun-Tarin sarkastisch. Vielleicht habe ich einen dieser aus dem Eispanzer herausragenden Gipfel erreicht. Den Schlot eines Vulkankraters vielleicht …
Es konnte ihm gleichgültig sein, worum es sich letztlich handelte. Deshalb verzichtete er auch darauf, sich mit Hilfe seines Ortungsgerätes darüber Klarheit zu verschaffen. Es lohnte den Kraftaufwand einfach nicht.
Auf jeden Fall konnte er hier etwas Deckung finden.
Du wirst dein Leiden dadurch verlängern! , meldete sich eine Stimme in seinem Hinterkopf, während er die letzten Kräfte mobilisierte und vorankroch.
In der Ferne dämmerte bereits der Morgen, als er die Anhöhe endlich erreichte. Erschöpft sank Sun-Tarin in eine Mulde.
Ein schöner Ort zum Sterben. Erinnert er nicht an eine kridanische Brutmulde?
Ein Vers aus der Weisheit des Ersten Raisa fiel ihm ein. Aus Kalk war das Ei, dem du entschlüpft bist – und aus Kalk sind die Gebeine, die von dir bleiben. So lass den Kalk beim Kalk und halte die Seele nicht fest, wenn sie entschweben will, da ihre Zeit gekommen ist.
Kapitel 5 – Ein Treffpunkt namens New Hope
»Austritt aus dem Bergstromraum«, meldete Lieutenant John Santos.
Der Ruderoffizier der STERNENFAUST nahm Schaltungen an seiner Konsole vor. Auf dem Panoramaschirm erschien das Zentralgestirn des New-Hope-Systems.
Etwa 100 Millionen Menschen lebten bislang in diesem System, das genau 50,2 Lichtjahre von der Erde entfernt lag und in den letzten Jahren einen großen Aufschwung erlebt hatte. Man rechnete damit, dass sich diese Zahl innerhalb der nächsten fünfzehn Jahre verdoppelte, denn Siedler fanden hier außergewöhnlich günstige Bedingungen vor. Der Großteil der New-Hope-Siedler – etwa neunzig Prozent – bewohnte den erdähnlichen Planeten New Hope III, der Rest verteilte sich auf die sehr rohstoffhaltigen, aber teilweise recht unwirtlichen, dünn besiedelten Nachbarplaneten.
New Hope war die größte menschliche Kolonie in diesem Teil des Grenzgebiets zum Niemandsland.
Der Treffpunkt lag an der Peripherie des Systems, etwa zweihundertdreißig astronomische Einheiten vom Zentralgestirn entfernt. Es gab dort einen Gürtel aus Tausenden von Gesteins- und Eisbrocken, der dem Kuiper-Gürtel des Sonnensystems ähnelte.
Manche dieser Gesteinsbrocken besaßen die Größe kleinerer Planeten, wurden aber dennoch nicht in die Planetenzählung aufgenommen – insbesondere weil ihre Bahnen häufig irregulär waren.
Als markanter Treffpunkt war das New Hope Cordon Objekt NHCO-4422 ausgewählt worden. Es handelte sich dabei um ein Objekt von der Größe des Erdmondes, das allerdings die Form eines Kegels besaß und eine sehr schnelle, auf den ersten Blick völlig chaotische Eigenrotation aufwies.
»Leiten Sie das Bremsmanöver ein«, befahl Commander Leslie.
»Jawohl«, bestätigte Santos. »Wir werden den Rendezvous-Punkt bei NHCO-4422 in genau acht Stunden und 14 Minuten erreichen.«
»Ortung?«
»Ja, Captain?«, meldete sich Lieutenant Wu.
»Ich nehme an, wir gehören zu den Letzten.«
»Wir sind die Letzten«, bestätigte Jessica Wu. »Wir empfangen gerade eine Transmission vom Zerstörer MERRITT.«
»Auf den Schirm
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