Vorzeitsaga 02 - Das Volk des Feuers
herausgefunden, was die Sonne zum Brennen bringt.
Holz kann es nicht sein, da oben ist kein Rauch zu sehen. Außerdem ist das Licht zu hell. Ist dir das auch schon aufgefallen? Es ist nicht wie Feuerlicht, es hat nicht diesen gelben Farbton.
Und dann der Mond. Was immer ihn zum Brennen bringt, es erzeugt keine Hitze - und auch da ist kein Rauch zu sehen.«
»Du hast einmal gesagt, alles habe einen eigenen Geist.«
Sie nickte. »Ja. Geistermacht liegt in allen Dingen, du brauchst nur deine Seele zu öffnen, dann fühlst du es. Natürlich haben Tiere eine Seele, aber auch Bäume und Berge und Flüsse und die Wolken am Himmel. Um uns herum pulsiert und pocht es ständig. Leider werfen die Menschen stets Schlamm in die klaren Wasser ihres Lebens, um sie zu verschmutzen. Sie sind nicht glücklich, wenn sie nicht in schmutzigem Wasser schwimmen, sie wollen weder sehen, wohin sie treiben, noch wie der Fluß aussieht.«
Er lachte, obwohl er trotz seines warmen Schaffellumhangs am ganzen Körper zitterte. Sie bemerkte es und schlang die Arme um ihren Leib. »Komm, gehen wir wieder hinunter. Ich bin durchgefroren bis auf die Knochen.«
»Nein, dir ist nicht kalt. Das ist nur Illusion!« neckte er sie.
Auf dem steilen Pfad hielt er ihre Hand fest, um sie sicher über die gefährlichen Schattenbereiche zu geleiten, in denen sich Eis gebildet hatte. Unter ihren Schritten gerieten Steine ins Rollen.
»Wie lange hast du gebraucht, um diesen Kreis dort oben zu bauen?«
»Ein paar Jahre. Manchmal war der Himmel im Sommer so bewölkt, daß ich noch ein Jahr warten mußte, bis ich die Steine richtig anordnen konnte. Aber im Winter ist es noch schwerer. Nebel, Kälte und Eis haben meine Willen hart auf die Probe gestellt.«
»Wie bist du darauf gekommen, den Sternenkreis zu errichten? Hast du davon geträumt? Oder ist es dir einfach so eingefallen?«
Sie schüttelte den Kopf. Zitternd vor Kälte waren sie endlich am Fuß des Pfades angelangt. Der Schnee knirschte unter ihren Mokassins.
»Mist und Fliegen, nein. Ich sah einmal einen solchen Kreis auf einer Spitzkuppe oberhalb des Big River, als ich mit Gestutzte Feder Verwandte beim Weißen-Kranich-Volk besuchte.« Sie verstummte und ließ das Erlebnis in der Erinnerung noch einmal an sich vorüberziehen. »Ich erinnere mich, daß ich eines Nachts auf den Hügel ging, weil das Weiße-Kranich-Volk glaubte, es sei der Platz einer Macht. Ich legte mich zwischen den Steinspeichen des Kreises nieder und hatte einen wunderbaren Traum. Erst in der Morgendämmerung bin ich aufgewacht. Als die Sonne aufging, stand ich auf und rollte meine Schlafdecken zusammen. In diesem Moment fiel mir eine Steinreihe auf, die genau auf die rote Mitte der Sonne zeigte. Das machte mich nachdenklich. Ich beobachtete den Sternenkreis. An jedem Tag unseres Aufenthaltes beobachtete ich den Sonnenauf- und -Untergang. Ich beobachtete die Bahn der Sonne.
Nein, es ist mir nicht einfach so eingefallen. Ich glaube nicht, daß einem vieles in der Welt einfach so einfällt. Das ist die Schönheit der Spirale. Alles entsteht und geschieht immer wieder.
Wie das Leben. Ein Baby wird geboren, lernt laufen, sprechen und spielen und wächst zu einem jungen Menschen heran, der erwachsen zu werden lernt. Ein Penis entdeckt eine Vagina, und wieder wird ein Baby geboren, das laufen und sprechen lernt. Alles beginnt von vorn. Kreise innerhalb von Kreisen, aber alle miteinander durch die Spirale verbunden.«
Er antwortete nicht gleich, sondern schlug auf einen von der Schneelast herabgedrückten Ast ein.
»Und wie paßt deiner Meinung nach Schwerer Biber in das Ganze?«
Weißes Kalb ging weiter, ihr Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an. »Das Problem mit Schwerer Biber ist, daß er Macht entdeckt hat, ohne zu wissen, wie.«
»Vor Jahren hast du zu mir gesagt, er sei ein Lügner, er habe sich seine Macht selbst eingeredet.«
»Das ist der Punkt. Verstehst du, er hat sie sich eingeredet. Denk mal darüber nach. Ich weiß, dir ist die Vorstellung verhaßt, die Welt sei eine Illusion, aber ziehe es einmal in Betracht, denn das ist das Geheimnis seiner Stärke. Schwerer Bibers Macht lebt in den Köpfen der anderen.«
Unvermittelt blieb Kleiner Tänzer stehen. Er drehte sich auf dem Absatz um. »Ha?«
Sie warf ihm einen raschen, wissenden Seitenblick zu, eine Spur von Befriedigung umspielte ihren Mund. »Du hast richtig verstanden.
Seine Macht besteht in den Köpfen anderer Menschen. Sie glauben an ihn. Wenn du so
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