Vorzeitsaga 02 - Das Volk des Feuers
auseinandersetzen«
Die Männer wechselten vielsagende Blicke. Ihre Augen spiegelten wachsendes Unbehagen.
In Hungriger Bulle breitete sich zunehmend Panik aus. Ein ähnliches Gefühl kannte er schon - er hatte es bisher immer empfunden, wenn er wußte, ein in die Enge getriebener Büffel würde sich gleich umdrehen und ihn angreifen. Doch nun pulsierte ein Unrecht und störte die Ausgewogenheit seiner Seele. Jeder Augenblick schien unendlich langsam zu vergehen. Die Zeit erinnerte ihn an Blut, das Tropfen für Tropfen in der Erde versickerte. Er wollte Weißes Kalb überholen, doch die alte Frau hielt ihn mit ihren klauenartigen Händen fest. Tief krallten sich ihre Finger in sein Fleisch.
»Renn nicht herum wie ein mondsüchtiges Büffelkalb in einem Gewitter. Hier geht es um Geistermacht, verstehst du? Ich kümmere mich darum.«
Hungriger Bulles Puls raste. Er leckte sich die trockenen Lippen.
»Ich muß schneller gehen. Ich fühle es. Ich muß mich beeilen!«
Ihr scharfer Blick nagelte ihn fest. »Du mußt mir etwas versprechen. Bei deiner Seele. Überlaß es mir!«
»Bei meiner Seele.« Er schluckte nervös. »Ich will mich nicht in die Macht der Geister einmischen. Damit will ich nichts zu tun haben. Aber ich muß schneller gehen!«
Sie nickte ruckartig. »Vertrau mir. Ich habe dein Versprechen. Bei deiner Seele.«
Weißes Kalb drehte sich um und marschierte weiter. Das trockene Gras unter ihren Füßen knackte als zerbrächen winzige Knochen.
Im Gehen murmelte sie leise vor sich hin: »Hoffentlich kommen wir nicht zu spät.«
In diesem Augenblick durchbohrte ein Schrei der Qual ihren Geist wie eine scharfe Speerspitze.
Ungeachtet der stechenden Schmerzen in ihrer Hüfte zwang sie ihre müden Beine zu einer noch schnelleren Gangart.
Kleiner Tänzer fühlte sich wie in einem merkwürdigen Traum, seltsam abgesondert von der Außenwelt. Diesen Morgen empfand er als nur in seiner Phantasie existent, er nahm die Dinge wie etwas Unwirkliches wahr, wie etwas, das er nicht wirklich berühren, hören oder riechen konnte. Er schien über der Erde zu schweben, existierte in einem luftleeren Raum, abgetrennt von der Seele des Landes. Zwei Rauchwolkens Arme, die ihn festhielten, schienen trotz des spürbaren Drucks eine Illusion zu sein. Seine Tränen waren versiegt, zurück blieb nur eine dumpfe Furcht.
Er fühlte sich wie eine leere Hülse wie eine der zarten Schalen, die der Berdache von den Grassamen schälte und die vom Wind in die Ferne getragen wurden.
»Wir müssen sie zurückbringen«, flüsterte Zwei Rauchwolken heiser.
Wie aus weiter Entfernung drang die Stimme an Kleiner Tänzers Ohr.
Er starrte mit leerem Blick in die Ewigkeit. Zwei Rauchwolken hob Salbeiwurzels erschlafften Körper aus der Astgabelung der Pappel und bemühte sich angestrengt, die Tote auf dem glatten Holz abzustützen, damit er den nachgiebigen Leib richtig zu fassen bekam.
Kleiner Tänzer achtete kaum auf Zwei Rauchwolkens schmerzverzerrtes Gesicht, als das Gewicht seiner Mutter auf dessen verkrüppeltes Bein drückte. Teilnahmslos blickte er auf den Berdachen, der mit gebeugtem Rücken unter Ziehen und Zerren die baumelnde Last ins Gleichgewicht zu bringen versuchte.
Plötzlich tauchte hinter dem vom Blut rot verfärbten Baumstamm der schwarze Wolf auf. Das Tier verharrte reglos mit gespitzten Ohren und beobachtete sie. Magische Kraft überlief prickelnd Kleiner Tänzers Rücken. Sein Blick traf den des Tieres. Er fühlte sich eins werden mit ihm, fühlte, wie sich ihre Seelen eng verbanden.
Nein! Das will ich nicht! Mutter! Wo bist du? Rasch wandte Heiner Tänzer die Augen ab und folgte Zwei Rauchwolken. Jedesmal, wenn dessen steifes Bein die Last übernehmen mußte, stöhnte er auf.
Der Rückweg war kaum länger als drei weite Speerwürfe, aber als sie das Lager erreichten, taumelte Zwei Rauchwolken vor Erschöpfung.
Schwankend ließ er Kleiner Tänzers Mutter fallen. Mit einem dumpfen Aufschlag prallte ihr Körper auf den Boden. Es klang, als lasse ein Jäger achtlos einen Tierkadaver von der Schulter gleiten. Zwei Rauchwolken brach neben der Leiche zusammen. Seine Zähne gruben sich tief in seine Unterlippe, sein Gesicht verzerrte sich unter dem Schmerz seines verkrüppelten Beines.
Wortlos stand Kleiner Tänzer daneben, die Augen unverwandt auf die Leiche seiner Mutter gerichtet.
Besorgt befühlte Zwei Rauchwolken sein steifes Bein. In der Morgensonne schimmerten die Schweißtropfen auf seinen heißen Wangen wie
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