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Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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Frau so erzürnt hatte, daß sie die Menschen im Stich ließ.
    »Hilf mir, Schildkrötenbündel.«
    Mit der Zärtlichkeit einer Liebenden schlug Nachtschatten die den heiligen Inhalt umhüllenden Häute auseinander. Ihre Finger liebkosten die Kanten einer langen, gerillten Speerspitze. Es schien ihr fast unmöglich, aber mit solchen Speerspitzen hatten die Menschen zu Anbeginn der Zeit riesige, zweischwänzige Ungeheuer erlegt. Zuunterst im Bündel befanden sich winzige, unglaublich alte und brüchige Knochensplitter. Ihre Mutter hatte ihr erzählt, sie stammten von dem Geisterwolf, der Wolfstöter half. Ein glatter, schwarzer Stein - eindeutig ein versteinerter Haifischzahn - lag auf der linken Seite. Durch ein sauber ausgebohrtes kleines Loch war ein uralter Lederriemen gezogen, der, als sie ihn leicht berührte, vor ihren Augen zerfiel. Nur der versteinerte Haifischzahn hatte in sich genügend Macht bewahrt, um sich mit ihr in Verbindung setzen zu können. Während sie ihre Hand drauflegte, die Kühle spürte und ihren Geist mit dem seinen austauschte, betrachtete sie die anderen Reliquien. Neben dem Schrumpfkopf einer Klapperschlange lag ein herrlicher Schildkrötenpanzer mit dem eingravierten Gesicht von Donnervogel.
    Oft schon hatte sie diese uralten Gegenstände der Mächte betrachtet und dabei stets das Gefühl gehabt, es fehle etwas - ein Stein oder ein Muschelsplitter, der die schlafenden Geister wieder zu vollem Leben erwecken würde. Was war mit dem fehlenden Gegenstand passiert? War er verlorengegangen?
    Oder hatten die Götter ihn zur Strafe für ein vor ewig langen Zeiten begangenes, längst vergessenes Verbrechen vor den Menschen versteckt?
    Vor Zyklen hatte Nachtschatten von einem unscheinbaren, seltsam albern lächelnden Mann geträumt.
    Er öffnete das Bündel und berührte sanft den Steinzahn. Dann wandte er sich um und blickte verwundert zur aufgehenden Sonne. Ein rötlichgelber Lichthof aus Sonnenstrahlen hüllte ihn ein, und mit seinem kräftigen linken Arm deutete er … nach Osten. In diesem Augenblick überflutete ihn das rötlichgelbe Licht und verschlang ihn wie Flammen einen Baum.
    Seit diesem Traum hatte sie das Gefühl, der fehlende Gegenstand müsse mit dem Steinzahn in Zusammenhang stehen, mit ihm durch einen dünnen, die Jahrhunderte überbrückenden Strang der Macht verbunden sein.
    Vorsichtig nahm Nachtschatten jeden einzelnen Gegenstand in die Hand und führte ihn sechsmal durch den reinigenden Dampf. Im Wohlgeruch der Zedern verjüngte sie die Mächte. Anschließend führte sie jeden Gegenstand an den Mund und hauchte ihm Geist ein. Sie versprach, ihn mit ihrem Leben zu schützen. Erleichtert schrien die »Tausend Stimmen« leise auf.
    Nachdem sie jedem Gegenstand neuen Geist eingehaucht hatte, ordnete sie die Dinge auf den heiligen Häuten an und zog langsam die Kette mit dem Türkisanhänger über den Kopf. Sie hatte ihn bei jenem letzten Maistanz in Talon Town getragen und seitdem nie abgelegt. Nichts auf der Welt war so von ihrer Seele erfüllt wie dieser winzige Steinsplitter mit dem eingravierten Bild des Wolfes Thlatsina.
    Sie drückte den Anhänger fest an ihre Brust, sang leise das Lied der Lobpreisung für den Thlatsina und legte den Türkis zu den anderen Gegenständen. Nun war ihre Seele auf immer und ewig an die Seele des Schildkrötenbündels gebunden.
    Sie blinzelte. Die drückende Hitze ließ die Welt vor ihren Augen verschwimmen. Benommen zog sie ein Knie an und lehnte ihre Stirn dagegen. Der zischende Dampf pulsierte … pulsierte … Stimmen flüsterten … »Die Erste Frau hat unsere Macht absichtlich zerstört. Sie will die Mächte von Tharon fernhalten. Er hat den Tempel entweiht… Murmeltier und Singw umgebracht… und all die anderen …«
    Ihr Magen verkrampfte sich, in ihrem Kopf hämmerte es mit jedem Schlag ihres rasenden Herzens stärker. Dann wurden die Stimmen leiser und leiser, bis sie verklangen und sich grauer Nebel wie eine erstickende Decke auf ihre Seele legte.
    Hals über Kopf stürmte Dachsschwanz die Treppe vom Tempelhügel hinunter. Seine Lungen stachen vom raschen Laufen. Er überquerte die Grasfläche, umrundete die Ostecke des Hügels und sprintete an seinem Haus vorbei zu der niedrigen, runden Kuppel der dicht an der Palisade errichteten Schwitzhütte.
    Nachtschattens rotes Kleid hing an einem Pflock an der Außenwand, der Saum schwang in der warmen Brise hin und her. Dachsschwanz verlangsamte seine Schritte und blieb schwer atmend

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