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Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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Mutter oder ihr Vater bei ihr waren.
    Flechte biß sich auf die Unterlippe. Mit dem angekohlten Ende des Stocks kritzelte sie Schlangenlinien auf den Kalkstein. Wehmütig erinnerte sie sich an vergangene Tage, an denen sie vom verführerischen Duft gebratener Maiskuchen geweckt wurde. Die Augen nur einen Spaltbreit geöffnet, die Nase knapp über der Büffelfelldecke, hatte sie Wühlmaus zugesehen, die ruhig und heiter am Feuer kochte. Sie liebte es, eine Weile liegen zu bleiben, den Geruch des Frühstücks zu genießen und ihre Mutter aus der Wärme des Bettes heraus zu beobachten.
    Flechte stocherte mit ihrem Stock in der Glut und drehte die Wurzeln um. Sie versuchte, die Bilder der Vergangenheit zu verdrängen, aber es gelang ihr nicht. Sie sah Wanderers Vogelgesicht vor sich.
    Balancierend auf dem über den Abgrund ragenden Kalksteingesims blickte er sie an. »Weißt du, Flechte, es gibt Träumer, die glauben, alles in der Spirale sei Illusion.«
    Flechtes Magen begann vor Hunger zu knurren. Wie konnte jemand so etwas glauben? Widerlegte nicht jeder Schmerz diese Behauptung?
    Geht es meinen Eltern gut, Vater Sonne? Sorge dafiir, daß es ihnen gutgeht.
    Sie hatte die Hoffnung, Wanderer könnte jeden Augenblick den Pfad heraufkommen und sie finden, noch nicht aufgegeben. Die ganze Nacht hatte sie in ihren Träumen nach ihm gerufen. Wanderer, Wanderer, hier bin ich, oben auf der Klippe. Im Südwesten, bei dem alten niedergebrannten Baum.
    Schwarz ragte der gewaltige Stumpf zwanzig Hand von ihr entfernt in einer Mulde des gelbbraunen Felsens auf. Er sah aus wie ein riesiger, entblößter Zahn. Bruder Blitz hatte vor langer Zeit den Stamm in der Mitte gespalten und nur eine verkohlte Hülle hinterlassen. Die unverwechselbaren Spuren von Würmern zogen sich durch die uralte Rinde und ergaben ein Muster wie von einem kunstfertigen Holzbearbeiter gemeißelt.
    Die letzte Nacht hatte Flechte zusammengerollt in dem hohlen Stamm verbracht. Sie hatte Ranken ihrer Seele ausgesandt und die Seelen ihrer Eltern gesucht. Beide waren am Leben. Wanderers Seele war leicht zu finden gewesen; sie leuchtete in einem freundlichen blauen Licht. Bei ihrer Mutter war es schwieriger gewesen. Flechte hatte lange suchen müssen, bis sie das helle gelbe Glühen erkannte.
    Aber Flechte konnte nicht in Erfahrung bringen, wie es ihnen ging.
    Mit ihrem Grabestock, einem angespitzten Eichenstecken, hob sie die Prachtschartenwurzeln aus der Glut. Gelbe Flammen züngelten empor, erstarben aber sofort zu einem sanften, korallenroten Glühen.
    Sie legte die brutzelnden Wurzeln zum Abkühlen auf den Fels. Müßig beobachtete sie ein Reh mit seinem Kitz. Die Tiere grasten friedlich auf einer unter ihr liegenden Wiese.
    Merkwürdig, die Tiere so nah bei Redweed Village zu sehen. Wapitis, Bisons und das meiste Rotwild waren längst vor Flechtes Geburt durch die Jagd ausgerottet oder von der Dürre vertrieben worden.
    Deshalb mußten inzwischen sämtliche Felle eingehandelt werden. Die beiden Tiere da unten hatten ein schattiges Plätzchen entdeckt, wo trotz der Dürre noch Wildblumen und Gras wuchsen. Sie schienen keine Angst zu haben, und das beruhigte Flechte. Ihr konnte das Nahen von Kriegern entgehen, aber die Tiere würden die Witterung von Menschen rechtzeitig aufnehmen, noch bevor sie zu einer Bedrohung für Flechte werden konnten.
    Die Wurzeln waren abgekühlt. Flechte schälte das angekohlte Äußere ab und verschlang gierig das Mark. Als sie alle sechs Wurzeln verspeist hatte, ergriff sie das Gefühl behaglicher Zufriedenheit; neue Kraft strömte durch ihren Körper. Ruhig blieb sie sitzen und blickte über das Land. Sie konnte bis zum Pumpkin Creek sehen, wo zwischen Felsplatten die weißen Blüten eines Hartriegelwäldchens in unwirklich anmutendem Licht aufleuchteten.
    Der Gedanke, irgendwo da unten würden ihre Eltern jetzt denselben Sonnenaufgang betrachten wie sie, tröstete sie etwas.
    Flechte warf die abgeschälten, faserigen Wurzelreste in das Feuer. Sie schrumpften und ballten sich wie winzige, gekrümmte Fäuste zusammen.
    Im Norden schwebten Rauchwolken zum Himmel wie Federn im Wind. Wie viele Menschen waren gestorben? Dauerte der Krieg immer noch an?
    Flechte faßte nach dem Lederriemen um ihren Hals und holte den Steinwolf unter ihrem grünen Zeremonienhemd hervor. Der Wolf blitzte in der Sonne auf.
    »Bist du da drin, Geist?« fragte sie. »Ich … ich brauche Hilfe. Kannst du zu mir sprechen?«
    Sie erhielt keine

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