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Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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Zwillingen, weil sie nicht wußte, was nach ihrem Tod aus ihnen werden sollte.
    Auch Heuschrecke fragte sich das. Zur Zeit kümmerte sich Nisse um die Babys, aber wenn Grüne Esche als Nachfolgerin Winterbeeres Stammesführerin werden würde, mußte man sich ihrer Entscheidung fügen. Wer würde die Kinder schützen? Würde Grüne Esche die Babys verstoßen oder einem ihrer Verwandten befehlen, ihnen den Schädel einzuschlagen? Hatte sie vor, sie beim Tod eines mächtigen Sonnengeborenen als dessen rituelle Gefährten anzubieten, damit sie am Grab erwürgt wurden?
    »Ich liebe dich, Heuschrecke«, murmelte Primel. »Ich brauche dich. Vielleicht wäre es besser, wenn wir für ein paar Tage fortgingen und so lange wegblieben, bis die Marter vorüber ist.«
    »Nein. Nein, ich ich muß Dachsschwanz noch einmal sehen. Auch wenn Petaga mir verbietet, mit ihm zu sprechen. Morgen … morgen gehe ich hin. Ich hoffe, ich kann es ertragen.«

KAPITEL 47
    Ein strahlend schöner, heißer Tag. Ein furchtbar heißer Tag.
    Mitten auf dem großen Platz hing Dachsschwanz schlaff an dem Martergestell und starrte zu seinen an den Querbalken gefesselten Händen hinauf. Seit vier Tagen quälte ihn Vater Sonne, sog jeden Tropfen Flüssigkeit aus seinem nackten Körper, röstete die Haut mit seinen stechenden gelben Strahlen.
    Schweiß strömte Dachsschwanz über das Gesicht und rann ihm brennend in die Augen. Geblendet blinzelte er und versuchte, das Treiben auf dem Platz zu verfolgen. Die Leute stöberten in den Trümmern ihrer Häuser nach Brauchbarem. Manche kamen auch nur, um Dachsschwanz anzustarren.
    Ein paar spuckten ihn an und verfluchten ihn, weil sie ihm die Schuld an dem verlorenen Krieg gaben.
    In der letzten Hand Zeit hatte Dachsschwanz zu zittern begonnen. Nicht aus Angst, sondern weil er drei Tage hintereinander nichts mehr zu essen und zu trinken bekommen hatte. Die Zunge klebte ihm am Gaumen wie eine verwitterte Wurzel, und sein leerer Magen stülpte sich um vor Übelkeit.
    Mach ein Ende, Petaga. In diesem Stadium habe ich nicht mehr die Kraft, tapfer zu sterben. Du wirst wenig Freude an mir haben.
    Er bemühte sich, mit den Füßen die Erde zu berühren, um die unerträglichen Schmerzen im Rücken ein wenig zu lindern. Ein unterdrücktes Stöhnen kam über seine Lippen.
    Petaga schielte zu ihm herüber. Der junge Häuptling saß zwanzig Hand entfernt auf einer mit einem schönen Stoff bedeckten Bank und hörte sich die Klagen der Dorfbewohner an. Dachsschwanz sah die Leute kommen und gehen und hatte all ihre Sorgen und Nöte mit angehört. Sie baten um Entschädigung für den Ernteausfall oder bettelten um Mais für ihre Kinder. Ein paar Sternengeborene hatten sich beleidigt darüber beklagt, daß Tharon einen Krieg angezettelt hatte, ohne vorher ihren Rat einzuholen.
    Tharon. Möge deine Seele auf immer und ewig im Dunklen Fluß der Unterwelt umherirren.
    »Ist schmerzhaft, was, Dachsschwanz?« fragte Petaga. Schauriges Gelächter erklang unter den Umstehenden. Dachsschwanz bemerkte, wie Hagelwolke den Kopf senkte und auf den Boden starrte; der Krieger sah aus, als fühle er sich krank. »Denk daran, wie es meinem Vater ergangen ist.«
    »Dein Vater hat nichts gespürt, Häuptling Große Sonne«, erwiderte Dachsschwanz. Seine Stimme klang heiser und brüchig; er erkannte sie kaum wieder. »Ich hatte großen Respekt vor deinem Vater.
    Ich habe dafür gesorgt, daß er nicht gelitten hat.«
    »Auch du wirst nichts mehr spüren«, antwortete Petaga steif, »wenn die Zeit kommt. Aber ich glaube, das dauert noch ein paar Tage.«
    Noch Tage! Heilige Mondjungfrau … Dachsschwanz atmete tief durch und versuchte, die Knie gegeneinander zu pressen.
    Petaga winkte mit der Hand und rief: »Wer ist der nächste? Los, los! Da warten noch mehr.«
    Heuschrecke und Primel traten aus der Menge heraus. Dachsschwanz' Herz zog sich qualvoll zusammen; er wußte, wie sehr sie darunter litt, ihn in dieser Lage sehen zu müssen. Er lächelte ihr erschöpft zu, während sie mit einem Korb in der Hand vorwärts humpelte. In ihrem ausdrucksvollen Gesicht standen Sorge und Schmerz. Sie blieb stehen und versuchte, mit ihm zu sprechen; doch Petaga befahl barsch: »Niemand spricht mit dem Gefangenen!
    Geh weiter, Heuschrecke.«
    Dachsschwanz' Blick verschmolz für einen Moment mit Heuschreckes Augen. Die Liebe und das Leid, das er darin erkannte, schnürten ihm die Kehle zu.
    Sie hinkte hinter Primel her und stellte den Korb zu Füßen Petagas nieder.

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