Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste
sehr gut aus - drehte sich zu ihr um. Er lächelte sie an. Turmfalke, die sich glücklich fühlte, erwiderte sein Lächeln.
»Du bist Seidenschwanz' beste Freundin, nicht wahr?« fragte er.
Sie nickte. »Ja, wir sind befreundet, seitdem wir vier Sommer alt sind.«
»Ich bin Seidenschwanz' Vetter Schneewind. Hast du nicht vor kurzem den Händler Stechapfel geheiratet?«
»O ja. Er ist…« Sie wollte ihn Schneewind zeigen, konnte ihn aber nirgends sehen und zuckte mit den Schultern. »Er ist irgendwo da drüben.«
Schneewind lächelte. »Er ist ein sehr berühmter Mann. Mein ganzes Leben lang habe ich Geschichten über Stechapfel gehört. Du hast großes Glück, seine Frau zu sein.«
Turmfalke lachte über das Kompliment. »Ja, danke, ich weiß.«
Seidenschwanz stand auf, und Turmfalke trat zur Seite, um besser sehen zu können. Sie stolperte über einen Stein. Sofort griff Schneewind nach ihrer Hand, um ihr Halt zu geben.
In diesem Moment drängte sich Stechapfel auf der Suche nach ihr durch die Menge. Als er ihre Hand in der von Schneewind sah, blieb er abrupt stehen.
Turmfalke drehte sich lächelnd nach ihm um und streckte einen Arm nach ihm aus. Doch er stand so reglos wie eine geschnitzte Specksteinfigur. Sein Blick wanderte von ihr zu Schneewind und wieder zurück. In weniger als einem Herzschlag hatte sich sein Gesichtsausdruck von dem eines liebenden Ehemannes zu dem eines gefährlichen Feindes gewandelt. Entsetzt entriß sie Schneewind ihre Hand und stand wie vom Donner gerührt.
Stechapfel kam auf sie zu, stellte sich zwischen sie und Schneewind und sagte: »Deine Großmutter Weidenstamm wollte dich sprechen, Turmfalke. Geh und such sie.«
»Wo … wo ist sie? Ich habe nicht…«
»Ich habe gesagt, du sollst gehen und sie suchen.«
Sein eisiger Tonfall ließ sie wie vor einem Schlag zurückzucken. Nach ihrer Großmutter rufend lief sie durch die Menge, mußte jedoch feststellen, daß ihre Großmutter gar nichts von ihr gewollt hatte.
Turmfalke war so verwirrt, daß sie weder ein noch aus wußte und zu weinen begann. Tränen liefen ihr über die Wangen, während sie sich auf die Suche nach Stechapfel machte.
Als sie ihn schließlich fand, senkte sich bereits die Dunkelheit über das Dorf. Der Himmel war in ein durchscheinendes, blaues Licht getaucht. Stechapfel hatte bei Altes Stachelschwein gestanden, doch als Turmfalke nahe genug herangekommen war, packte er grob ihre Hand, sagte »Gute Nacht« und zerrte sie zurück zu ihrer Hütte im Wacholdergehölz.
»Stechapfel, du tust mir weh. Bitte …«
»Du bist erst seit zwei Monaten mit mir verheiratet, und schon schmeißt du dich anderen Männern an den Hals.«
»Das stimmt nicht! Das habe ich nicht getan. Schneewind …«
Stechapfel holte aus und schlug sie so heftig, daß sie voller Entsetzen schreien mußte.
Vorgebeugt, so daß sein Gesicht nur noch eine Handbreit von dem ihren entfernt war, zischte er: »Hör mir zu! Meine letzte Frau hat versucht, mir wegzulaufen. Weißt du, wo sie jetzt ist?«
»Sie ist tot, am Fieber gestorben.«
»Sie ist tot, richtig.« Mit einem hämisch-triumphierenden Grinsen reckte er sich. »Keine Frau betrügt mich und kommt ungestraft davon.«
»Aber, Stechapfel, ich habe nichts getan. Ich liebe dich. Ich habe nicht…«
»Vorwärts!« Stechapfel stieß sie brutal den Pfad entlang und in den tiefen Schatten des Wacholdergehölzes.
Sie kamen bei ihrer Hütte an, und Stechapfel stieß Turmfalke so heftig durch den Türvorhang, daß sie über die Decken aus Mammutfell stolperte. Das lange, seidige Haar dämpfte ihren Fall, doch es schmerzte trotzdem. Sie wagte nicht, sich zu bewegen, blieb auf dem Bauch liegen. An den Wänden hingen Stechapfels Bisonledertaschen, gefüllt mit getrocknetem Fleisch, Sonnenblumenkernen, Teilen von Mammutstoßzähnen und den besonderen exotischen Waren, die nur Stechapfel besitzen durfte.
Die größte Bisonledertasche enthielt die mit edlen Schnitzereien verzierten Knochen eines seltsamen Fisches, der in dem Meer weit, weit im Osten schwamm. Mit Jagdszenen bemalte Häute dekorierten die Wände.
Turmfalke zitterte vor Angst. »Stechapfel, bitte, ich wollte nichts Falsches tun.«
Stechapfel öffnete den Türvorhang und hängte ihn sorgfältig über den Haken aus Hirschgeweih, so daß nichts den kalten Wind abhalten konnte, der den Hang heraufwehte. Die Wacholderäste schwankten knarrend hin und her. »Dreh dich um!« befahl Stechapfel mit scharfer Stimme.
Gehorsam folgte
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