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Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Titel: Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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kleine Silberwasser. Der Mond geht jeden Tag ein wenig früher auf. Das bedeutet, daß das Mondjahr 354 Tage hat, das Sonnenjahr dagegen Tage.«
    »Du meinst, der Mond braucht weniger Zeit, um zur selben Stelle am Horizont zurückzukehren?«
    »Das ist richtig.« Er nickt, und die schwarze Halskrause der Maske flattert wie bei einem Raben, der seine Federn nach einem Staubbad ausschüttelt.
    »Der Mond ist ein schneller Läufer.«
    Sterngucker lacht vergnügt vor sich hin. Er beugt sich vor, so daß der Maskenschnabel mitten auf ihrer Brust ruht und sie durch die Augenhöhlen in Sternguckers Augen schauen kann. »Ich werde dir ein Geheimnis verraten, Silberwasser«, flüstert er. »Etwas, was nur die Mitglieder der Sternengesellschaft wissen. Aber du wirst eines Tages auch ihr Mitglied sein, und deshalb will ich dir…« »Wirklich?«
    unterbricht sie ihn aufgeregt.
    »Natürlich. Hat die Maske dir das nicht gesagt? Doch, wirklich.« Er hebt den Maskenschnabel und setzt die Spitze auf Silberwassers Nase. Die Maske riecht modrig, als hätte sie zehn mal zehn mal zehn Winter in einem Erdloch geschlafen.
    Sterngucker flüstert: »Ich möchte, daß du sehr aufmerksam zuhörst. Versprichst du das?«
    Silberwasser versucht zu nicken und dabei den Kontakt zwischen ihrer Nase und dem schwarzen Schnabel der Maske zu halten. »Ja.«
    »Gut.« Er sieht sie an. Am Himmel werden die Wolkenstreifen purpurrot. »Alle unsere Erdarbeiten sind nach einem einheitlichen Maß angelegt. Weißt du, was das bedeutet?«
    Silberwasser denkt kurz nach und schüttelt dann den Kopf. »Nein.« »Es bedeutet, daß wir alles ausmessen, um sicherzugehen, daß es vollkommen ist. Jedes Mitglied der Sternengesellschaft trägt eine Schnurrolle mit sich, die alle dieselbe Länge haben. Wenn man so eine Rolle elfmal spannt, von Ende zu Ende, hat man eine Einheit des Himmelsmaßes. Alles, was wir tun, beruht auf der Zahl elf.
    Was meinst du, warum das so ist?«
    Silberwasser flüstert: »Warum?«
    Der Schnabel rückt näher, und Sterngucker spricht leise: »Weil es einen Unterschied von elf Tagen zwischen dem Mondjahr und dem Sonnenjahr gibt. Das ist eine sehr heilige Zahl, kleine Silberwasser.
    Du wirst feststellen, daß alle von der Sternengesellschaft entworfenen und von der Ingenieurgesellschaft erbauten Wälle die Elf als Grundlage haben. Es können zweiundzwanzig oder vierundvierzig Maßeinheiten sein oder auch fünfeinhalb, aber stets beziehen sie sich auf die Zahl elf.«
    Silberwasser fragt: »Aber wie lang ist die Schnur, Sterngucker? Ich meine…«
    »Das ist das größte Geheimnis von allen.« Er spricht noch leiser weiter: »719 normale Maßeinheiten ergeben zusammen eine Himmelseinheit. Wenn du nun deine Hand betrachtest, findest du den Ursprung einer normalen Einheit…«
    »Silberwasser!« schreit ihre Mutter heiser.
    Silberwasser versucht, über Sternguckers Schulter zu blicken. Schwer atmend, die Augen ängstlich aufgerissen, stehen Langer Mann und ihre Mutter am Fuß des flachen Hügels.
    »Silberwasser? Schnell! Komm her zu mir!« Sternmuschel kniet nieder und breitet die Arme aus.
    »Komm sofort! Schnell!«
    Silberwasser beißt die Zähne zusammen. Zärtlich streichelt sie Sternguckers Brust, voller Liebe, weil er ihr von den Sternen erzählt hat. Sie ist nie ungehorsam gegen ihre Mutter gewesen, aber - diese Geheimnisse sind wie Adlerjunge, die versuchen, in ihrem Innern fliegen zu lernen. Sie spürt, wie die Flügel an ihre Rippen schlagen.
    »Möchtest du den Rest hören«, fragt Sterngucker, »oder lieber zu deiner Mutter gehen?«
    Silberwasser schaut zu den rasch verblassenden Sternen auf. Sie weint, aber es kommen keine Tränen.
    Es ist ihr Inneres, das weint. Die Adlerjungen flattern wie wild, und die Sehnsucht nach dem Himmel tut Silberwasser so weh.
    »Ich… ich möchte mehr hören«, stößt sie hervor. Dann dreht sie sich um, damit sie das Gesicht ihrer Mutter nicht sehen kann. »Bitte erzähle mir mehr.«

31. KAPITEL
    Was ist die Gegenwart? Und wo ist sie in mir? Ich kann sie nicht finden.
    Ich sehe das Ufer des Flusses vorbeiziehen, und flüchtige Blicke auf die Zukunft blitzen am Rande des Bildes auf…
    Was für Narren die Menschen doch sind.
    Ahnungslos leben wir, wie Körper ohne Verstand oder Herz. Die Gegenwart erscheint am Rande unseres Verstehens und rückt erst dann in den Mittelpunkt unseres Bewußtseins, wenn sie Vergangenheit geworden ist. Also sehen wir die Gegenwart nie, wenn sie geschieht. Diese Zeit in

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