Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
Sternguckers gebrochenes Herz?
Als läse sie ihre Gedanken, fragte Silberwasser: »Mama, Sterngucker wollte mir alles über den Himmel erzählen. Er weiß so viel! Wenn es ganz dunkel ist, müssen wir nach Himmelsort zurückgehen. Dann überquert der Pflanzstern den Horizont.«
»Ja, Kind, ich weiß. Aber wir werden ihn von einem anderen Ort aus sehen.«
Silberwasser zog an der Hand ihrer Mutter. »Wir müssen jetzt zurückgehen!«
»Nein! Wir können nicht, Kleines. Wir haben etwas sehr Wichtiges im Norden zu erledigen. Dann, und nur dann können wir etwas über die Sterne erfahren, das verspreche ich.«
Silberwasser reckte den Hals, um über die Schulter zu blicken. »Was ist mit Sterngucker? Er wollte mich unterrichten. Nur mich. Ich würde sein Erster Stern sein. Und später würde ich Sterngucker und die Menschen retten. Dann könnte ich die Maske tragen.«
Sternmuschel erstarrte das Blut in den Adern. »Du mußt mir sehr aufmerksam zuhören. Erinnerst du dich an deinen Vater? Die Maske überlistete ihn und tötete ihn später. So wird sie es mit jedem machen, der sie trägt. Ich liebe dich, meine Kleine. Wenn du mich liebst, wirst du mir bei deiner Seele versprechen, niemals die Maske zu tragen! Hörst du mich?«
»Die Maske ist nicht schlecht, Mama. Es ist…«
»Tochter!« Unter zunehmender Angst bemühte sich Sternmuschel, mit ruhiger Stimme zu sprechen.
»Erinnerst du dich, was dein Vater tat? Hast du ihn die Knochen seines Großvaters ausgraben sehen?«
Silberwasser senkte den Blick.
»Antworte!«
»Ja, Mama.«
»Und du erinnerst dich, was dein Vater tat? Wie er starb?«
»Ja.« Die Stimme des kleinen Mädchens war kaum zu hören. »Versprichst du, mir zu sagen, wenn die Maske jemals zu dir spricht, ja?«
»Ich werde die Maske nicht tragen, Mama, aber können wir zu Sterngucker zurückgehen, damit ich alles über den Himmel und die Bräuche der Alten lerne?«
Sternmuschel bückte sich, packte ihre Tochter an den Schultern und versuchte, ihr ernstes Gesicht zu ergründen. »Hör zu, kleine Grille. Wir können nicht immer tun, was wir möchten. Verstehst du? Ich will nicht böse sein. Wir haben einfach keine andere Wahl. Ich nicht, du nicht und auch Langer Mann nicht. Wir müssen nach Norden wandern.«
»Um die Maske in das Brüllende Wasser zu werfen. Ist es nicht so?« Sternmuschel ließ sie los und wandte sich wieder dem Pfad zu. »Ja, Tochter. Ich möchte, daß du das verstehst. Wir tun, was du willst, wenn unsere Reise zu Ende ist. Ich bringe dich zurück nach Himmelsort, und du kannst bei Sterngucker lernen. Aber bis dahin mußt du wie eine Erwachsene handeln. Schaffst du das? Für mich erwachsen zu sein, bis wir erledigt haben, was wir tun müssen?« »Wann wird das sein, Mama?«
»Noch ein Mond, vielleicht zwei.« »Bis zur Sommersonnenwende?« »Ich denke, ja.« »Und dann können wir zurückgehen, und ich kann weiter über den Himmel lernen?« »Ja, mein Kleines.«
Silberwasser saugte an ihren Lippen, wobei sich ihre Wangen aufblähten. »Und du könntest zu Grüßt die Sonne zurückgehen?« »Wenn du möchtest, reden wir darüber.« »Das heißt gewöhnlich soviel wie nein.«
Sternmuschel lachte gequält. »Dieses Mal heißt es, daß wir darüber reden werden. Mama wurde weh getan bei Grüßt die Sonne - so wie dir weh getan wurde, als wir Sterngucker verließen. Diese kleinen Verletzungen müssen wir ertragen, und dann, zur Sonnenwende, werden wir nie wieder verletzt werden.« »Versprichst du es?«
»Ich verspreche es. Und versprichst du, nie die Maske zu tragen?« »Ich trage sie nicht. Aber ich will sie auch nicht ins Brüllende Wasser werfen. Sie will nicht sterben.«
Sternmuschel schaute sich nach Langer Mann um, der ungerührt vor sich hin stapfte. »Es muß sein, Kleines. Langer Mann hat es in einer Vision gesehen. Es ist die einzige Möglichkeit.«
Der Pflanzmond hatte den halben Himmel überquert, als Sternmuschel endlich auf einer kleinen Lichtung halt machte. Obwohl es nach Regen aussah, rollte sie die Decken aus, und Silberwasser schlief sofort ein.
Auf dem Rücken liegend, starrte Sternmuschel auf das Netz der Äste, das den Himmel verbarg.
Konnte sie sich auf Silberwassers Versprechen verlassen? Was wußte ein kleines Mädchen von den Täuschungen und Listen, zu denen die Maske fähig war? Die Geräusche der Nacht schienen sie zu verspotten.
»Wie geht es weiter, Magier?« fragte sie tonlos, denn sie spürte, daß auch er wach lag.
»Nordwärts, wie du
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