Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze
Mutter, und wenn diese Hochzeit aus irgendeinem Grund nicht stattfindet, dann wird sie glauben, dass es an mir lag, dass ich es irgendwie hintertrieben hätte. Dann werden mich meine Verwandten sicherlich tot auffinden -«
Muschelweiß lächelte, aber er fuhr fort. Er hatte Angst, jetzt innezuhalten. »- und dabei möchte ich es gar nicht hintertreiben. Wenn ich dich verletze oder etwas Dummes sage, bitte, dann sag es mir. Dann werde ich schon etwas finden, um es wieder gutzumachen.«
»Ich respektiere Ehrlichkeit, Teichläufer. Du wirst mich niemals verletzen, solange du die Wahrheit sagst. Aber bitte, sprich weiter. Da war noch etwas, was du mir vorher sagen wolltest. Über deine Fähigkeiten.«
Er nickte gehorsam, zögerte aber und blickte sie durch zusammengekniffene Augen an. Zwei scharfe aufrechte Falten zeigten sich zwischen seinen Brauen. »Ich habe ungewöhnliche Fähigkeiten. Oft habe ich Träume von zukünftigen Dingen. Ich -«
»Meinst du Geistträume? Wahrträume?« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und nickte. »Ja, das meine ich. Meiner Familie habe ich nie etwas davon erzählt, sie hätten dann nur noch mehr Angst vor mir. Aber ich wusste zum Beispiel, dass du heute zu Mittag ankommst, obwohl der Läufer nur meldete, dass dein Vater Schote kommen würde.«
Muschelweiß nickte. »Du bist ein Blitzjünger, Teichläufer. Das gehört dazu. Was sonst noch?«
Er umklammerte ihre Hand. »Ich kann auch Dinge spüren, von Tieren, Bäumen, Menschen, sogar von ziehenden Wolken.«
»Was meinst du damit? Was für Dinge?«
»Ja, ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Ich spüre ›Absichten‹, gute und böse. Manchmal weiß ich, dass da Menschen im Wald sind, weil ich sie schon einen halben Tagesmarsch entfernt höre.
Und ich höre auch schon einen Schwarm Quakfische aus der Ferne. Ich brauche mich nur mit einem Stein zu beschweren und mich lauschend auf den Meeresboden zu legen.«
»Das könnte sehr nützlich sein«, sagte sie. »Dann könnten wir schon früh unsere Netze auswerfen und einen größeren Fang einbringen.«
Eifrig fuhr er fort. »Ja. Mein eigener Clan hat nie auf mich gehört, aber ich verspreche dir, ich kann den Fang deines Clans verbessern. Warte es nur ab. Du wirst sehen. Und ich weiß auch, wie man mit Geistern redet. Der verrückte alte Hundszahn hat mir das beigebracht. Er …«
Muschelweiß schaute plötzlich zur Seite, und Teichläufers Magen zog sich zusammen. Geister! Sie musste sicher an ihren Mann denken. Sein Tod hatte wahrscheinlich ein schwarzes Loch in ihr Leben gerissen, das sich riesig vor ihr auftat. Sanft löste sie ihre Finger aus seiner Hand und blieb eine ganze Weile stumm. Als sie sich ihm wieder zuwandte, starrte er sie an, und all seine Seelen spiegelten sich in seinen Augen.
»Es tut mir Leid«, sagte er. »Es tut mir wirklich sehr Leid. Ich hatte nicht bedacht—«
»Du hattest keinen Anlass dazu, Teichläufer. Verzeih mir. Ich bin töricht, ich -«
»O nein, das bist du nicht.« Wie eine Spinne kroch seine Hand schwach über die Decke und griff wieder nach ihr. »Du hast gerade zwei Kinder und einen Mann verloren, Muschelweiß. Es ist nur natürlich, dass du innerlich blutest.« »Nicht nur das, Teichläufer«, sagte sie leise. »Ich bin in diesem Augenblick nicht mehr ich selbst. Um die Wahrheit zu sagen, ich weiß nicht, wer ich bin. Meine Kraft ist aus mir herausgesickert wie Wasser aus einer gesprungenen Schale. Wenn ich in mich hineinblicke, sehe ich nur noch eine schwache alte Frau, die nicht verhindern kann, dass ihr die Knie einknicken, wenn sie durch dein Dorf geht.«
»Ich wünschte, ich könnte helfen. Aber wie? Sag's mir bitte.«
Sie tätschelte seine Hand. »Die Herzlichkeit in deiner Stimme hat mir schon geholfen. Ich danke dir.«
Er drückte sich gegen die Decken in seinem Rücken und setzte sich etwas höher, aber diese kleine Anstrengung machte ihn schon atemlos. Er ließ sich schlaff zurückfallen und kämpfte gegen seine Schwäche an, denn er musste ihr unbedingt noch etwas sagen. »Da ist noch etwas, was ich dir mitteilen muss, Muschelweiß. Aber bitte halte mich nicht für ein Kind, wenn ich das sage. Vielleicht habe ich nie mehr die Möglichkeit dazu. Aber du sollst wissen, wie sehr ich mir wünsche, dich heiraten zu können. Ich habe dich schon als kleiner Junge verehrt. Schon die Erinnerung an deine Stimme, deine wunderbare Stimme, hat mir Kraft gegeben, wenn ich sie am meisten brauchte. Selbst wenn -«
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