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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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streichle die Steine, die in den noch stehenden Mauern gefangen sind. Dann bücke ich mich und nehme sie auseinander, einen nach dem andern breche ich die Steine los… gebe ihnen die Freiheit.

7. K APITEL
    Auf dem Kamm eines niedrigen Hügels hoch oberhalb des Canyons hielt Kreuzdorn mitten auf dem Weg an, um wieder zu Atem zu kommen. Stümpfe längst abgestorbener Goldkiefern waren überall auf dem Hügel. Bei der Bautätigkeit während der vergangenen fünfzig Sonnenkreise waren die größeren Bäume gefällt und mühsam in die Städte und Dörfer gekarrt worden, wo sie als Dachbalken in Zimmern oder Kivas dienten. Selbst die Äste wurden zusammengebunden und als Fensterstürze eingesetzt.
    So weit er blickte, waren die Hänge von großen Bäumen entblößt. Die verwitterten grauen Stumpen wirkten melancholisch, als erinnerten sie sich noch an die Baumriesen, die einst den Hängen Schatten gegeben hatten. Grau-weiße Eichhörnchen hatten im Geäst sicher wundervolle Spielplätze gefunden, und in den kühlen Schatten hatten sich wohl auch Hirsche verborgen. Jetzt war der Humus über gelber Erde fortgewaschen worden. Rinnsale hatten sich in den Erdboden um die ausgetrockneten Wurzeln eingefressen und schwemmten ihnen die letzten ihrer sterbenden Erinnerungen fort. Kreuzdorn rieb sich über den erhitzten Nacken, als er in den Canyon blickte. Die Zukunft lag da unten, nicht unter den vergehenden Gespenstern toter Bäume.
    Wolkenleute glitten gedrängt am Nachmittagshimmel gen Norden und zogen dunstige Regenbänder hinter sich her. Der Webstuhl des Himmels wob aus Licht und Schatten eine Decke aus wechselnden Farben. Er sah zu, wie die zerklüfteten Canyon-Wände sich von Hochrot in ein verwaschenes Rosa verfärbten. Er lächelte. Wenn die Thlatsinas tanzten, brachten sie Regen - und Leben.
    Sein langer schwarzer Zopf fiel ihm über die Schulter. Er hätte geschworen, daß er in den letzten fünf Tagen abgemagert war. Er rieb sich den Schweiß von seiner schmalen Hakennase und aus dem Gesicht. Seine Mutter hatte ihm einst gesagt, er solle froh sein, Augen wie ein Reh zu haben, sonst würden ihn die Leute sicher Geierkind nennen. Seine Lungen sogen die feuchte, nach Erde riechende Luft tief ein. Der Windjunge rauschte über den Gipfel und peitschte ihm sein langes braunes Hemd um die Beine.
    Die Rast tat ihm gut. Er war den ganzen Tag gelaufen, seinem Schicksal entgegen. Er beugte sich nach vorn und streckte die Hände über seinen Knien aus, um den unteren Teil seines Rückens von dem Gewicht der drei Bündel zu entlasten.
    »Ich bin bald da«, sagte er, und Freude durchströmte sein Herz.
    Schwarzer Tafelberg hatte ihm eingeschärft: »Folge der heiligen Straße bis zu den Stufen, die in die Felswand eingeschnitten sind. Am Fuß der Treppe findest du ein kleines weißes Haus. Ich habe einen Kurier vorausgeschickt. Der Heimatlose weiß, daß du kommst.«
    Der Gedanke, dem gepriesenen Ältesten gegenüberzustehen, erfüllte ihn mit Ehrfurcht. Er war wieder etwas zu Atem gekommen und trottete weiter. Seine Sandalen klickten auf dem Kies der Straße. Er kam an den Rand des Canyons, und vor ihm tat sich ein Abgrund auf, vielleicht zweihundert Handlängen tief. Kreuzdorn hielt an und schaute sich um. So weit er blicken konnte, sah er die aneinandergereihten Bergrücken des Hochlands, die den knotigem Rückgraten uralter Monster glichen. Seilartige Bänder von rotem, gelbem und weißem Fels durchschnitten diese Rückgrate in verqueren Winkeln. Überall ragten erodierte Steinsäulen empor. Er schaute in den Abgrund; da waren in der Tat Stufen in die Felswand eingehauen. Aufgeregt machte er sich auf den Weg. Er ging die Treppe rückwärts hinunter, so wie an einer Kiefernstangen-Leiter. Seine Bündel schienen ihm plötzlich federleicht.
    Als er von der letzten Stufe hinuntersprang, lief ihm der Schweiß übers Gesicht und stach ihm in die Augen. Er blinzelte und schaute sich um.
    Ein kleines, schäbiges Haus, zwei Körperlängen lang wie breit, versteckte sich hinter einem Gestrüpp aus hohem Beifuß und Schneebeerensträuchern. Das flache Dach hing durch. Das Hirschfell vor der niedrigen Tür hatten Mäuse angenagt. Abgefallener Putz von den rissigen Wänden lag verstreut herum. Es sah verlassen aus. Erschrocken hastete Kreuzdorn vorwärts und zwängte sich durch das Dickicht, bis er einen gewundenen Pfad fand. Die Hufabdrücke von Hirschen zeichneten sich in dem roten Erdboden ab, doch es war nichts zu erblicken, was nach

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