Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels
Kriegshäuptling, nicht wahr?«, fragte Neuntöter.
Jaguar schnaubte gereizt und rieb sie die Arme, um sich zu wärmen. »Einige wurden auf Anordnung meines Häuptlings umgebracht. Andere tötete ich, weil ich sie fürchtete oder verabscheute oder wegen irgendeiner Kleinigkeit bestrafen wollte.« Seine Miene wurde hart. »Wichtig ist letztendlich nur, dass ich sie tötete. Natürlich tötet ein Mann manchmal, weil es seine Pflicht ist. So muss es sein. Aber viele meiner Gegner starben, manche von ihnen auf besonders grausame Weise, nur weil ich es so wollte.«
Sonnenmuschel erbleichte, von Entsetzen gepackt.
Jaguar wandte sich an sie. »Fasse dich, liebe Freundin. Niemand starb durch Hexerei. Wen ich tötete, den tötete ich vorsätzlich, mit einer Waffe, mit Gift oder mit meinen Händen. Niemand wurde verhext oder verlor seine Seele durch Zauberei. Darauf gebe ich dir mein Wort.«
Sonnenmuschel flüsterte: »Ich danke dir, Ältester.«
Neuntöter schluckte und schüttelte den Kopf. »Du erzähltest Muschelkamm von einem Traum. Erster Mann sei zu dir gekommen.«
Jaguars Lippen bebten, seine Stimme wurde weich: »Ja, auch das ist richtig.« Er blickte Neuntöter in die Augen. »Du hörtest also auch, dass ich Muschelkamm sagte, man müsse erst alles verlieren, um alles zu finden? Dies war mein Ernst, Häuptling. Dies ist die wichtigste Erkenntnis, die ich einem Menschen vermitteln kann.« Er lächelte wehmütig. »Aber nur Wenige verstehen, wie bedeutsam sie ist.«
Der alte Mann bat mit einer Geste um Schweigen und stapfte durch den Schnee. Sonnenmuschel zögerte eine Weile und sah Neuntöter fragend an. Er runzelte die Stirn und zuckte unsicher die Achseln. Ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl verband sie. Wenn Sonnenmuschel etwas nicht verstand, dann konnte auch von Neuntöter kein Verständnis erwartet werden.
»Es ist merkwürdig«, flüsterte Neuntöter Sonnenmuschel ins Ohr, »aber ich vertraue ihm immer noch.
Ich weiß nicht warum, aber so ist es!«
»Mir geht es ebenso, und ich glaube, es liegt daran, dass er die Dinge mit den Augen von Okeus schaute«, wisperte Sonnenmuschel. »Und das, was er sah, erleuchtete seine Seele mit hellen Blitzen.«
Halbmond, Neuntöters Schwager, wartete auf ihn im Einlass der Palisaden. Neuntöter gab Jaguar ein Zeichen. »Offenbar Familienangelegenheiten. Geht schon voraus und wärmt euch am Feuer meiner Schwester. Rosenknospe hat sicher Tee für euch.«
Jaguar nickte dankbar. Er zitterte und schlurfte, so schnell er konnte, über den Platz zum Langhaus von Rosenknospe. Sonnenmuschel ging neben ihm her und blickte sich, wie üblich, wachsam nach allen Seiten um.
»Viel zu tun gehabt?«, fragte Halbmond. Er war zwei Köpfe größer als Neuntöter. Lange Muskelstränge liefen über seine Gliedmaßen, und seine Schultern, wenngleich gebeugt, schienen eher geeignet, Gewalt zu erdulden als Gewalt auszuüben. Seine Unterlippe neigte dazu, nach vorn zu hängen, und die rundliche Nase in Verbindung mit den schielenden Augen ließen ihn verwirrt erscheinen. Dieser Eindruck täuschte viele Menschen, die den Fehler machten, ihn zu unterschätzen.
Neuntöter tastete über den Griff der Keule, die an seinem Lendenschurz befestigt war. »Ja, recht viel.
Es begann gleich in der Frühe mit Besorgungen für die Weroansqua. Dann musste ich ein paar Körbe mit Mais zu Tante Windblatt bringen. Sie weigert sich, innerhalb der Palisaden zu leben, weil dort die Luft ihren Geist verliert, was immer das bedeutet. Ich glaube, es stört sie, dass so viele Menschen diese Luft atmen.«
»Und er?« Halbmonds zuckende Lippen nannten Jaguar. Es belustigte Neuntöter, dass niemand Sonnenmuschels Anwesenheit zur Kenntnis nahm. Die Dienerin des Zauberers hätte ebenso gut unsichtbar sein können.
»Ich brachte ihn zu Muschelkamm, sie wünschte ihn zu sprechen.«
»Worüber wollte sie mit ihm sprechen?« Halbmond verschränkte die Arme vor der Brust, und mit Unbehagen beobachtete er den alten Mann, der an einem der Wachtposten vor dem Haus der Toten vorüberhumpelte.
»Das weiß ich nicht«, log Neuntöter. »Ich kümmere mich nicht um die Angelegenheiten der Weroansqua.«
»Aha, die Angelegenheiten der Weroansqua!« Halbmond grinste. »Muschelkamm wollte also nicht einfach nur Gesellschaft haben?«
»Bruder, ich weiß es nicht. Vielleicht oder vielleicht auch nicht. Sie wollte privat mit ihm sprechen.
Ich diene meinem Clan, so wie du dem deinen dienst. Also, was kann ich für dich
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