Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels
holen lassen, Weroansqua?«
»Ja, Großer Tayac. Ich danke dir, dass du so schnell und so spät in der Nacht noch gekommen bist.«
Sie deutete auf eine Matte neben dem Feuer. »Setz dich.«
Mit der geschmeidigen Kraft einer Wildkatze ließ Kupferdonner sich nieder und schlang die Arme um die Knie. Er beobachtete sie neugierig und abwartend. Der Feuerschein huschte über seine Tätowierung. Die Zickzacklinie um seine Augen und der schwarze Streifen um seinen Mund ließen keine Regung auf seinem Gesicht erkennen. Er hätte auch eine Maske tragen können.
»Die Dinge spitzen sich zu«, sagte Jagender Falke schließlich. »Es wird sehr bald zu einer Entscheidung kommen. Jaguar sagte, dass Schwarzer Dorn mit Wilder Fuchs bereits auf dem Wege hierher sind. Ich befinde mich in einer unangenehmen Situation.« Sie sah die Erregung in seinen Augen. »Vielleicht muss ich mich auf deine Hilfe verlassen.«
»Und dein Kriegshäuptling?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich bin mir seiner Treue nicht mehr sicher. Aber dies ist nicht der Augenblick, um ihn abzulösen. Ein solcher Vorgang braucht Zeit. Die Männer schätzen ihn. Zu viele würden meine Entscheidung infrage stellen. Und ich spüre immer noch den Stachel des erfolglosen Zuges gegen Drei Myrten. Wenn wir nur die Hälfte unserer Streitmacht für den Angriff auf ein verbündetes Dorf aufbringen können, wie viele könnte ich wohl für einen Einsatz innerhalb von Flache Perle zusammenbekommen?«
Der starre Blick seiner schwarzen Augen erinnerte sie an eine Schlange, die ein Eichhörnchen ganz in ihrer Nähe betrachtet.
»Was kann ich dabei gewinnen?«, fragte er endlich. »Meine zehn Krieger und ich könnten Neuntöter und die Männer, die ihm vielleicht beistehen, aus dem Weg räumen, aber ich will wissen, wofür ich kämpfe.«
Sie rieb die runzligen Handflächen aneinander und betrachtete die pergamentbraune Haut auf den Handrücken. »Du wirst dein Bündnis haben, Großer Tayac. Ich gebe dir Muschelkamm … und Springendes Kitz dazu, sobald sie zur Frau geworden ist. Zwei Bande, nicht nur eines. Alter und Erfahrung in Verbindung mit Jugend und Fruchtbarkeit. Die östlichen Grenzen deines Territoriums werden gesichert sein. Im Frühling vereinen wir uns, um nach Süden in das Gebiet des Mamanatowick einzufallen. Dies ist es doch, was du willst, nicht wahr?«
Kupferdonners Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln. »Und ich will auch den alten Mann. Wenn wir abziehen, will ich ihn in mein Dorf mitnehmen.«
»Er gehört dir.« Sie hob die Hand. »Aber erst, wenn ich es sage. Ist das klar? Ich kann mir keinen Fehler mehr erlauben, es sind bereits zu viele gemacht worden.«
Kupferdonner neigte leicht den Kopf, sein Lächeln wurde noch breiter, und er schien überaus befriedigt. »Wie du willst, Weroansqua.« Er machte eine Pause. »Wann darf ich mit Muschelkamm sprechen?«
»In zwei Tagen, Großer Tayac. Im Augenblick ist sie im Frauenhaus, sie hat gerade ihre Mondphase.
Das, was du ihr zu sagen hast, kann so lange warten.«
»Ja, sicher.« Er stand auf, die Muskeln unter der eingefetteten Haut spannten sich. »Vielen Dank für dein Vertrauen, Weroansqua. Jetzt ist mir wohler. Ich glaube, gemeinsam werden wir unschlagbar sein.«
»Schlafe gut, Großer Tayac.«
Nachdem er gegangen war, wanderte Jagender Falkes Blick wieder zum Feuer; sie fühlte eine große Leere in ihrer Seele. Leise fragte sie: »Hast du alles gehört?«
Gelbes Netz trat hinter der Matte im hinteren Teil des Raumes hervor. »Ja, Weroansqua.« Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. »War es wirklich notwendig, ihm meine Tochter zu versprechen?«
»Wäre es dir lieber gewesen, ich hätte ihm dich selbst versprochen? Natürlich musste ich es tun. Er soll wissen, dass es mir mit der langfristigen Planung ernst war. Muschelkamms Schoß könnte plötzlich austrocknen. Springendes Kitz ist gesund und jung und wird bald erblühen.«
Gelbes Netz bewahrte nur mit Mühe die Fassung und konnte ihren Abscheu kaum verbergen.
Jagender Falke hob eine Braue. »Bleib ruhig, Cousine! Wenn unser Plan gelingt, dann fällt der Mamanatowick über die Dörfer am Oberlauf her wie eine rasende Bärin. Die beiden werden sich gegenseitig zerfleischen und uns eine Atempause verschaffen. Das ist doch unser Ziel, nicht wahr?«
»Ich beginne, an deinen Plänen zu zweifeln, Weroansqua.«
»Zweifelst du auch daran, dass du dich recht bald ›Weroansqua‹ nennen wirst? Diese Aussicht allein sollte deine Empörung
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