Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels
unseren Fall erledigt haben, wirst du genügend Zeit finden, um unsere Gastfreundschaft zu genießen. Sie braucht gewiss nicht allzu lange, um ihren Pflichten gegenüber Erster Frau nachzukommen.«
Schwarzer Dorn nickte; er schien erleichtert.
Das Mahl begann. Frisch gebratener Hirschrücken, Walnussmilch, gesüßter Kürbis, gebackener Truthahn, Enten- und Wachtelbraten wurden vor Schwarzer Dorn und Wilder Fuchs hingestellt, ebenso wie Wurzeltee in Muschelschalen.
Neuntöter fing den Blick von Jagender Falke auf, nickte und verschwand unauffällig. Leise schlich er hinaus, überzeugte sich davon, dass bei den Kriegern von Schwarzer Dorn alles in Ordnung war und trat geduckt ins Freie.
Kalte Windböen kamen jetzt von Norden. Während er zum Haus der Toten ging, sah er den ersten Dunst des Nachmittags, der bald zu dichtem Nebel würde. Bei Nacht würde man die Hand vor Augen nicht mehr sehen können.
»Ist er zufrieden?«, fragte Kupferdonner, der immer noch neben der Tür stand. »Genießt er die Gastfreundschaft von Flache Perle zum letzten Mal?«
»Zum letzten Mal?« Neuntöter hielt inne und wandte sich um. »Ich weiß nicht, was du meinst, Großer Tayac.«
Kupferdonner machte eine wegwerfende Handbewegung. »Oh, ich denke an nichts Besonderes. Aber schließlich hätte man einen Boten schicken und es dabei bewenden lassen können. Ein Krieger hätte sagen können: ›Alles vergeben, Weroanzi, der Schuldige ist entlarvt, die Welt ist wieder in Ordnung.
Vergib uns den dummen Fehler. Wie konnten wir nur glauben, dein Sohn hätte das Mädchen ermordet?‹ Das hätte genügt, nicht wahr? Stattdessen bringt man ihn her.« Kupferdonner schüttelte den Kopf. »Ich selbst hätte bemerkt, dass etwas faul ist, und wäre nicht hierher gekommen. Aber so klug ist Schwarzer Dorn offenbar nicht, wie ich sehe. Habe ich nicht Recht?«
Neuntöter ballte die Fäuste, um seinen Zorn zu unterdrücken. »Was willst du mir damit sagen?«
Kupferdonner trat vor und dämpfte seine Stimme, damit seine Männer ihn nicht hören konnten. »Oh, ich glaube, du weißt recht gut, was ich meine. Außerdem war ich an jenem Morgen dort draußen, wie du sehr wohl weißt. Ich sah ihn mit eigenen Augen. Und ihr, du und der alte Mann, habt es nach langer Schnüffelei endlich herausgefunden, nicht wahr?«
Neuntöter erstarrte und bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Du sahst ihn dort draußen? Was tat er?«
»Trottete zu den Bäumen, kurz vor Sonnenaufgang.«
»Was noch?«
»Er trug etwas in der Hand. Könnte eine Keule gewesen sein.«
»Würdest du sie wiedererkennen?« Neuntöter hob spöttisch eine Braue, als ob er Kupferdonner herausfordern wollte.
»Dieselbe, die er jetzt bei sich hat. Es ist doch seine, nicht wahr? Er hat sie immer bei sich, wohin er auch geht.«
»Und was trieb dich nach draußen, Großer Tayac? Es war gegen Ende der Nacht. Da hättest du schlafen sollen.«
Kupferdonner lächelte dünn. »Oft findet ein Mann vor seiner Hochzeitsnacht keinen Schlaf, Häuptling. Oder hast du das vergessen?«
»Ich habe viele Dinge vergessen. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigst… ich habe noch Verschiedenes zu erledigen.«
Er wandte sich ab, als Kupferdonner noch einmal das Wort an ihn richtete: »Wenn du Hilfe brauchst, um ihn zu überwältigen … meine Männer und ich sind dir zu Diensten, Häuptling.«
Neuntöter lief ein kalter Schauer über den Rücken. Der Ton, in dem er ihn »Häuptling« nannte, schien purer Hohn, als ob der Mann etwas wüsste, von dem er selbst nicht die leiseste Ahnung hatte.
Er klopft nur auf den Busch, das ist alles. Er weiß nichts von der Keule, es ist nur eine List.
Aber dieser Gedanke beruhigte Neuntöter nicht. Er hatte das deutliche Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Er wusste zwar nicht, was es war, aber er erkannte, dass ihrer aller Leben davon abhing.
Als Neuntöter das Haus der Toten betrat, saß Jaguar im Vorraum. Er hatte die Decke, die Neuntöter von Spottdrossel bekommen hatte, auf dem Schoß. Das sorgfältig gegerbte Fell war weich und wärmte seine steifen Knie. Neben ihm stand ein großer Korb.
Sonnenmuschel bückte sich mit ausgestreckten Händen über das Feuer. Sie hatte sich die Haut eingefettet, ein Überwurf lag über ihrer linken Schulter, aber Füße und Waden waren mit Schlamm bespritzt. Sie blickte auf und sah in Neuntöters harte Augen.
»Wir konnten erst abfahren, als der Nebel sich gehoben hatte«, sagte sie. »Es war nicht einfach, Schwarzer Dorn überhaupt
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