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Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels

Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels

Titel: Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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sie hinausgeschrien. Er konnte erst um sie werben, wenn sie zur Frau geworden war, aber in seinen Augen lag schon das Versprechen. Doch während der Sonnenwendfeier im vergangenen Sommer hatte er seine Aufmerksamkeit der schönen Enkeltochter der Weroansqua Jagender Falke von Flache Perle, Rote Schlinge, zugewandt. Sie waren einander ebenbürtig. Obwohl sie noch keine Frau war, hatte Rote Schlinge Wilder Fuchs geschmeichelt, als wäre sie eine, hatte ihm über seine muskulösen Arme gestrichen und ihn angelächelt, als wüsste er mehr als die Erste Frau selbst.
    Sonnenmuschel hatte sie deswegen gehasst, aber nichts unternommen. Hätte sie es doch … vielleicht wäre er … vielleicht…
    Sie krallte die Finger in den Federumhang. »Welch eine Närrin du bist!«, sagte sie kaum hörbar. »Er hat sie geliebt. Nicht dich. Dich hat er nie geliebt.«
    Der Wind schlug um und hüllte ihr Gesicht in den Duft des Zedernholzrauchs, der sich vor ihren Augen drehte und in den Wirbeln sah sie das Gesicht von Wilder Fuchs so wie vor zwei Tagen, als das Leuchten in den Augen ersetzt worden war von tiefster Qual. Sie hatte diesen Blick schon einmal gesehen, an dem Tag, als sein geliebter Hund, den ein Bär angefallen hatte, ins Dorf humpelte und Wilder Fuchs ihn mit seiner Keule erschlagen musste.
    Ihre Mutter sagte beschwörend: »Erinnerst du dich denn nicht mehr an deine erste Liebe, Faserblatt?
    An den furchtbaren Kummer und an deine Sehnsucht? Ich schon. Ich …«
    »Du hast deinen Clan nicht entehrt. Du hast gewartet, bis du aus der Menstruationshütte kamst, und erst dann bekanntest du dich zu deiner Liebe für Windgesang. Dann erst erzähltest du mir davon, und ich trug die Kunde davon weiter an den Clan. Wir sprachen für dich. Du kanntest deinen Platz, deine Pflichten. Sonnenmuschel weiß gar nichts.«
    Faserblatt schob den Türvorhang beiseite und starrte ärgerlich zu ihrer Nichte hinaus. Sie hatte ein aufgedunsenes Gesicht mit vielen Falten und weißlich überzogenen Augen, die Sonnenmuschel immer Angst gemacht hatten. Ihr Hirschlederumhang war mit roten Vogelbildern bemalt.
    »Komm her, Mädchen!«, befahl sie.
    Sonnenmuschel stand gehorsam auf und kniete vor ihr nieder. »Hier bin ich, Tante.« Ihre sonst tiefe Stimme klang schrill.
    »Hast du bei ihm gelegen?«
    Sonnenmuschel war bestürzt. Einen Augenblick lang konnte sie Faserblatt nur ungläubig anstarren.
    Dann stotterte sie: »W-w-wie denn? Ich bin noch keine Frau. Glaubst du, ich würde …«
    Ihre Mutter mischte sich jetzt ein. »Faserblatt, um der Geister willen! Sie ist noch ein Kind, und Wilder Fuchs weiß das. Glaubst du, er will sterben? Er würde es niemals wagen …«
    Faserblatt wirbelte herum und blickte grimmig durch den Einlass: »Erzähl mir bloß nicht, was ein junger Mann wagt, wenn ihn die Lenden schmerzen. Ich weiß Bescheid. Ich habe acht Söhne geboren.«
    Sie wandte sich wieder um, hob eine Braue und musterte Sonnenmuschel mit ihren milchigen Augen langsam und aufmerksam von den Mokassins bis zu ihrem bleichen Gesicht. Als sie sprach, war ihre Stimme so scharf wie ein fein behauener Feuerstein. »Na ja, an dir ist nicht viel dran, um einen Mann zu verführen, das gebe ich zu. Aber sag mir, Nichte, was ist zwischen dir und Wilder Fuchs vorgefallen? Hat er mit deinen Gefühlen gespielt? Oder bist du ihm nachgerannt wie ein läufiges Wiesel?«
    »Ich … ich habe es dir schon gesagt«, erwiderte Sonnenmuschel aufgeregt. »Wir sind Freunde. Wir sind immer Freunde gewesen. Ich habe angefangen, ihn zu lieben …«
    Die Wucht des Hiebes warf sie zu Boden. Sie schlug hart auf, krallte die Finger in die Erde, spuckte Erde, und ihr Mund war voller Blut. Sie versuchte, sich aufzusetzen, aber alles verschwamm vor ihren Augen.
    »Faserblatt!«, rief ihre Mutter. »Geh mir aus dem Weg! Was hast du getan?«
    Sonnenmuschel zwang sich aufzustehen und taumelte über den Platz zum Durchgang in den Palisaden.
    Ihre Beine zitterten. Seit dem »Zwischenfall« hatte sie nichts mehr gegessen, und jetzt fühlte sie sich leer; ihre Seele schwebte wie Löwenzahnsamen auf einer kühlen Brise.
    Einer der Hunde vom Dorf sah sie und begann zu bellen. Sie nahm die Beine in die Hand und rannte los.
    »Sonnenmuschel!«, schrie Faserblatt. »Komm sofort zurück! Ich befehle dir umzukehren!«
    Sie blickte über die Schulter; Tante und Mutter standen neben dem Feuer. Beide trugen knielange Hirschfellumhänge über abgetragenen Gewändern. Das Gesicht ihrer Mutter drückte

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