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Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels

Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels

Titel: Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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Qualen aus und der Anblick brach Sonnenmuschel beinahe das Herz. Sie lief dennoch weiter, die Mokassins flogen über den gefrorenen Boden des Platzes. Es war stockdunkel, die Vögel schwiegen. Der Wald jenseits der Palisaden war ebenso stumm wie der Tod.
    »Sonnenmuschel!«, rief ihre Mutter. »Bitte! Bitte, komm zurück!«
    Sonnenmuschel eilte durch den engen Gang zwischen den Pfahlreihen hinaus ins Freie. Die hoch aufragenden kahlen Bäume schienen sich mit ihren schwankenden Zweigen über sie zu beugen und im Nachtwind leise zu murmeln. Sie nahm den aufgeweichten, Laub bedeckten Pfad hinunter zur Bucht.
    In der Ferne heulten Wölfe und tauschten über die sanften Anhöhen hinweg Botschaften aus.
    Sonnenmuschel zwang sich, langsamer zu laufen. Wurzeln und Steine ragten aus der Erde hervor.
    Wenn sie fiel und sich verletzte, wäre sie auf Hilfe angewiesen - und lieber würde sie sich einen Hirschhorndolch ins Herz stoßen.
    Ihr Leben lang hatte sie nichts sehnlicher gewünscht, als eine Kriegerin zu sein und Wilder Fuchs zu heiraten. Sie hatte davon geträumt, mit ihm gemeinsam in den Krieg zu ziehen, sich tagsüber gegenseitig zu beschützen und sich nachts zu umarmen. Doch damit war es nun vorbei. Wilder Fuchs war verschwunden, und ihre Tante würde dafür sorgen, dass ihr niemals erlaubt würde, Waffen zu tragen und an einem Kriegszug teilzunehmen.
    Geh zur Bucht, stiehl ein Kanu und flieh! Wenn es nicht wegen Mutter wäre …
    Schluchzer sammelten sich in ihrer Kehle. Sie schlug sich mit der Hand auf den Mund, um sie zu ersticken. Bei ihrer Geburt war sie ein schwaches Kind gewesen. Bis vor zwei Blätterblüten hatte ihre Mutter die Tage damit zugebracht, sich um die Anfälligkeit und die Stimmungen ihrer Tochter zu kümmern, hatte ihre Unfähigkeit, bei Spielen mitzumachen oder schwer zu arbeiten, entschuldigt und sie vor den Quälereien der anderen Kinder geschützt… und jetzt das!
    Und du glaubst, du könntest eine Kriegerin sein? Du kannst ja nicht einmal deine Mutter verlassen!, verspottete sie eine innere Stimme.
    Der Mond schien durch die Äste, und silberfarbene Dreiecke tanzten vor ihren Füßen über den Pfad.
    Sie fiel in Laufschritt. Es war allein ihre Schuld. Sie hatte alles falsch gemacht. Wäre sie schon eine Frau gewesen, hätte sich Wilder Fuchs vielleicht nicht nach einer anderen Gefährtin umgesehen, oder wenn sie schöner und auffallender ausgesehen hätte, so wie Rote Schlinge, dann hätte er statt ihrer vielleicht sie geliebt. Aber nein, die immer fröhlich und praktisch veranlagte Sonnenmuschel hatte keine Ahnung, wie man flirtete oder sich herausputzte. Und im Übrigen war sie nicht fähig, etwas zu tun oder zu lassen, ohne zuvor ausführlich darüber nachzudenken. So war es wenigstens bis vor zwei Tagen gewesen.
    Und diese eine unbesonnene Handlung hatte vielleicht ihr Leben zerstört.
    Sonnenmuschel lief auf den Strand, hielt inne und ließ den Kopf nach vorn fallen, um zu Atem zu kommen. Die kalte Luft roch nach gefrorener Erde und Fisch. Das Wasser schimmerte im Mondlicht wie Schiefer, in den der Wind Streifen blies.
    Links von ihr lagen sieben Kanus auf dem Sand, die bemalten Rümpfe leuchteten silberfarben.
    Da du jetzt von Tante Faserblatt davongelaufen bist, weißt du, was dich erwartet, wenn du heimkehrst, nicht wahr? Du wirst verprügelt werden wie noch nie in deinem Leben.
    Jeder in Drei Myrten wird die Schläge hören, und gegen Ende dieses Mondes wird jedes Kind in den Unabhängigen Dörfern vom Entenbach bis zur Austernbucht Bescheid wissen.
    Und du wolltest eine Kriegerin sein?
    Sonnenmuschel richtete sich auf. Die schmale gezackte Bucht - eigentlich die Flussmündung zu Vater Wasser - maß hier etwa zehnmal zehn Körperlängen in der Breite. Die dunklen Ufer waren baumbestanden. Ihr Blick folgte den mondbeschienenen Wellen, die sanft über den Sand flössen, und sie dachte an Wilder Fuchs. Waren er und Rote Schlinge entkommen? Waren sie vielleicht sogar schon auf dem Weg zu Vater Wasser und den legendären Städten der Schlangenhäuptlinge? Seit vielen Blätterblüten hatte Sonnenmuschel den Geschichten der Händler über das Land von Vater Wasser gelauscht. Sie hatten wunderbare, von Menschen errichtete Berge beschrieben und von Häusern gesprochen, die so groß waren wie ihr ganzes Dorf. Anfangs hatte sie darüber gelächelt, aber so viele Händler hatten davon berichtet, dass sie begann, ihnen zu glauben. Und sie hatten viele Dinge mitgebracht: Schmuckstücke aus

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