Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken
Frau. Während Sperling damit beschäftigt war, eine Maisschleimsuppe für die Morgenmahlzeit zuzubereiten, gab sich Anführerin Aschenmond betont ungezwungen. Sie flocht ihr silbernes Haar zu einem dicken Zopf, ohne Blauer Rabe jedoch einen Herzschlag lang aus den Augen zu lassen, und er spürte ihren Blick wie einen eisigen Dolch in der Brust.
Die rötlichen Boten des Sonnenaufgangs tanzten durch die Wolkenriesen und verliehen Teilen des morgendlichen Himmels einen regenbogenfarbenen Anstrich.
Blauer Rabe schlürfte den heißen Tee, den Aschenmond ihm angeboten hatte, und sagte: »Der schmeckt hervorragend.«
»Ich danke dir«, erwiderte Aschenmond. »Es ist meine eigene Mischung.«
»Trocknest du die Rosenblüten in der Sonne, oder lässt du sie an der Pflanze vertrocknen?« »Ich pflücke die frischen Blütenblätter und lasse sie langsam am Feuer trocknen. So hält das Aroma länger.«
Silberner Sperling warf gedörrte Blaubeeren in den blubbernden Maisschleim und rührte ihn mit dem Hornlöffel um. »Zum ersten Mal hat sie diese Teemischung vor dreiunddreißig Wintern ausprobiert. Es war Herbst, im Mond der Wirbelnden Blätter, und Aschenmond war mit unserem ältesten Sohn etwas weiter nördlich von hier am Cranberry Bog, einem Jägerlager, zum Beerenpflücken. Dabei hat sie ein bisschen von diesem und ein bisschen von jenem gesammelt, und als sie am Abend einen Tee daraus kochte, fanden wir ihn alle köstlich. Seither ist sie bei dieser Mischung geblieben.« Sperling lächelte stolz, doch dieses Lächeln galt nicht Aschenmond, sondern dem Suppentopf.
Kurz verschleierte ein Anflug von Schmerz ihren Blick, der jedoch gleich wieder verschwand. Silberner Sperling schaute zu ihr hoch und presste die Kiefer aufeinander.
Blauer Rabe verstand nicht sehr viel von Frauen, doch mit Männern kannte er sich ein wenig aus. Ihm war klar, dass Silberner Sperling Aschenmond noch immer liebte.
Sperling erhob sich aus der Hocke. »Aschenmond, solange der Brei kocht, werde ich mal sehen, ob ich ein paar von unseren Sachen wieder finde, die der Sturm letzte Nacht weggeblasen hat.« Und zu Blauer Rabe gewandt sagte er, indem er die Augen zusammenkniff, um seine Worte zu unterstreichen: »Nur als Vorsichtsmaßnahme möchte ich dir mitteilen, dass Aschenmond einen Dolch und ein Messer am Gürtel trägt und beides zu benutzen weiß. Ich habe es ihr selbst beigebracht. Außerdem werde ich immer in Sichtweite bleiben. Mein Blick wird dich nur selten verlassen, Blauer Rabe. Hast du verstanden?«
»Jawohl, das habe ich.«
Sperling nickte und stapfte auf die Baumgruppe zu, die sich links von Blauer Rabe erhob. Der wartete, bis Sperling außer Hörweite war, bevor er bemerkte: »Er behandelt dich wie eine Ehefrau, ehrenwerte Anführerin des Erdendonner-Klans, nicht wie eine frühere Ehefrau.« Aschenmond flocht unbeirrt weiter an ihrem Zopf. »Nun ja, das hat er fast sein ganzes Leben lang getan. Er kann es wahrscheinlich nicht abstellen.«
»Wie lange wart ihr ein Paar?«
»Fünfunddreißig Winter.«
Blauer Rabe stützte die Ellbogen auf die angewinkelten Knie. Aschenmonds Blick ruhte abwartend auf ihm, während sich die Falten auf ihrer Stirn vertieften. Der Felsen hinter ihr begann mit dem Höhersteigen der Sonne zu glitzern. »Nach einer so langen Zeit fällt die Trennung gewiss nicht leicht, kann ich mir denken. Ich selbst war zwar nie verheiratet, aber ich habe von Leuten, die sich getrennt haben, gehört, dass sie sich danach fühlten, als hätten sie einen Teil von sich verloren.«
Ihr Blick wurde eine Spur weicher. Sie zog ein Lederband aus ihrem Reisebündel und knotete es um das Ende ihres Zopfes. »Warum hast du nie geheiratet?«
Blauer Rabe fühlte sich wie hypnotisiert von Aschenmonds dunklen, selbstsicheren Augen. Trotz ihres Alters war sie noch immer eine sehr schöne Frau. Der dicke silberne Zopf lag anmutig über ihrer linken Schulter, und die überwiegende Zahl ihrer Falten kündete von einem Leben voller Lachen und Fröhlichkeit.
»Die Frau, die ich begehrte, wollte mich nicht, und ich wollte die Frau nicht, die mich begehrte. So einfach ist das. Ich habe schlichtweg …«
»Warum wolltest du sie nicht?«
»Nun ja« - er hob die Schultern - »sie war eine Kriegerin. Eine sehr tapfere Kriegerin, und ich …« »Du hast unter der Rivalität gelitten?«
»Nein, nein«, wehrte er ein wenig zu schnell ab und hielt, verwundert über seine Reaktion, inne. Die Wahrheit war, dass Elchgeweih in der Kriegskunst
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