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Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Titel: Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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ehrwürdige Ahnen…
    Während des Winters fegte Windmutter den Schnee über die Kuppe von Lost Hill. Die Bäume neigten sich südwärts, die kahlen Stämme von den immer währenden Stürmen grotesk verdreht. Obwohl der Hügel eine prächtige Aussicht über den Pipe * Stern Lake bot, ging dort nie jemand hinauf. Ihre Mutter hatte ihr einst erzählt, dass die Schreie all dieser verlorenen Säuglinge in den Grashalmen weiterlebten, die auf diesem gemiedenen Hügel wurzelten. Die Leute hören die Schreie vielleicht nicht mit den Ohren, Zaunkönig, aber ihre Seelen hören sie sehr wohl. Die Schreie hinterlassen einen tiefen Schmerz in der Brust, der solange währt, bis du selbst über Lost Hill hinweggegangen bist. Zaunkönig drehte sich um und spähte zu Polterer hinüber. Er lutschte an seinem Finger wie ein Säugling. Der rote Schein der Glut spiegelte sich in seinen Augen wider. Er musste sich schrecklich einsam fühlen.
    Zaunkönig überlegte kurz, dann kroch sie leise näher zu ihm hin.
    »Hast du es warm genug, Polterer?«, wisperte sie. »Ich teile gern meine Decke mit dir, wenn dir kalt ist.« Sie zerrte an der schweren Elchdecke und hielt ihm eine Ecke davon hin.
    Der Junge rührte sich nicht.
    »Wenn du in der Nacht zu frieren beginnst, dann sag es mir. Ich werde dir helfen.«
    Schluchzer zuckten in seiner Brust. »Ich hab's dir gesagt.«
    »Was hast du mir gesagt?«
    »Dass deine Leute mich töten werden.«
    Seine erstickte Stimme rührte sie zu Tränen.
    »Du tust mir leid, Polterer«, sagte sie und blickte rasch um sich, um sicherzugehen, dass niemand sie hörte. Ihr Herz klopfte so stark, dass sie das Blut in den Ohren rauschen hörte. Ein zittriges Lächeln zupfte an seinen Lippen, als der Junge mit heiserer Stimme flüsterte: »Ich habe versucht, in die Welt-über-dem-Himmel zu fliegen. Wie du gesagt hast.«
    Zaunkönig blinzelte überrascht. »Und, hast du deine Mutter gefunden?«
    »Nein, ich … ich bin gar nicht bis dorthin gelangt. Es war so dunkel und so kalt. Meine Seelenflügel wollten nicht schwingen. Aber ich träume viel von ihr. Ich habe geträumt, dass sie hier ist. Dass sie lebt. Sie hat alles versucht, um mich zu finden, aber es ist ihr nicht gelungen. Und ich hatte keine Stimme, um nach ihr zu rufen.«
    Zaunkönig strich mit den Fingern über das Elchfell. Es fühlte sich weich und warm an. »Ich habe auch oft von meiner Mutter geträumt. Und in den ersten sechs Monden nach ihrem Tod war es immer der gleiche Traum.« »Und welcher?«
    »Ich träumte, dass das Kanu gekentert war und die Strömung sie mit sich fortgerissen hätte. Es dauerte viel Monde, bis Mutter den Weg zurück nach Hause fand, aber eines Tages stand sie vor unserer Hütte und hat mich so fest umarmt, Polterer, dass ich keine Luft mehr bekam.«
    Wenn die Einsamkeit Zaunkönig das Herz zu schwer machte, kehrte dieser Traum zurück, und dann wurde es ihr wieder leichter.
    Polterers Kehle entrang sich ein leises Schluchzen. Zaunkönig biss sich auf die Lippen. Nach dem Tod ihrer Eltern und ihres Bruders hatte sie Onkel Blauer Rabe hundertmal darum gebeten, die Ufer des Flusses nach ihnen abzusuchen. Das hatte er selbstverständlich getan, und die Gewissheit, dass sie nicht dort waren, sterbend oder allein, hatte ihr geholfen, in einen ruhigen Schlaf zu gleiten. »Polterer?« flüsterte sie. »Ich gehe jetzt raus und suche deine Mutter.«
    Polterer starrte sie mit offenem Mund an, als könnte er nicht glauben, was sie eben gesagt hatte. »Wirklich?«
    »Ja.« Sie tastete nach ihrem Umhang und den Mokassins. »Ich kann zwar nicht allzu lange bleiben, aber ich werde die Umgebung in der Nähe des Dorfes absuchen.« »Sag ihr, dass ich hier bin!« »Das werde ich«, erwiderte sie… obgleich sie wusste, dass es nicht dazu kommen würde. Den ganzen Tag über hatten sich die Dorfbewohner lachend auf die Schenkel geklopft und immer wieder die Geschichten wiederholt, die Springender Dachs und seine Krieger erzählt hatten. Wilde Rose war eines schnellen Todes gestorben, erschlagen von Springender Dachs eigener Hand, nachdem er ihr Polterer aus den Armen gerissen hatte. Aber das spielte keine Rolle.
    Zaunkönig schnürte ihren Umhang und die Mokassins zu und stand auf. »Versuche zu schlafen, solange ich draußen bin, Polterer. Du hast zwar sieben Tage um zu essen und dich auszuruhen, aber du wirst all deine Kraft brauchen, um solange auszuharren, bis deine Mutter dich holen kommt. Lost Hill ist ein schrecklicher Ort. Ich wecke dich

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